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Französische GedichteFranzösische Gedichte

Lust und Lebensart, das sind Begriffe, die man gerne mit Frankreich verbindet. Leben und leben lassen, das "Laisser faire" hat es sogar in den internationalen Sprachschatz geschafft.

Doch die Franzosen, speziell ihre Dichter, haben auch ihre dunkle Seite. Um das "Sterben und sterben lassen" soll es auf dieser Seite gehen: Eine Tour de France durch Gedichte von Trauer und Tod seit dem 15. Jahrhundert.

Hinweis: Die französischen Originalversionen sind bei Bedarf jeweils zusätzlich einblendbar.

Den Anfang markiert Villons "Lied der Gehenkten" (L'epitaph), das sehr nah am Leben des Dichters geschrieben ist, der tatsächlich zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil ist jedoch in Verbannung umgewandelt worden. Danach verloren sich die Spuren von François de Villon.

Dieser rustikalen Auseinandersetzung mit dem Tod folgt ein Sonett der leidenschaftlich kleine und große Tode sterbenden Louise Labé. Pierre-Jean de Béranger schließlich holt den Tod wieder an den Rand der Gesellschaft zurück mit seinem Gedicht "Der alte Vagabund".

Lied der Gehenkten

O Mensch, o Bruder, machst du hier einst Rast,
verhärte nicht dein Herz vor unsrer Pein;
denn wenn du Mitleid mit uns Armen hast,
wird Gott der Herr dir einst gewogen sein.
Hier hängen wir, so Stücker acht bis neun;
ach, unser Fleisch, einst unser liebst Ergetzen,
jetzt ist es längst verfault und hängt in Fetzen,
samt unsern Knochen fast zu Sand verfallen.
Doch wolle keiner seinen Witz dran wetzen -
nein: bittet Gott, dass er verzeih uns Allen!

Mißachte, Bruder, nicht dies unser Flehen;
du weißt ja, der du unser Bruder bist,
obgleich uns nach Gesetz und Recht geschehn,
daß nicht ein jeder Mensch vernünftig ist.
Verwende dich von Herzen als ein Christ
beim Sohn der Jungfrau, daß er seine Gnade,
da wir nun tot sind, auch auf uns entlade
und uns behüte vor des Satans Krallen.
Die Seele, Bruder, stirbt nicht mit am Rade -
ja: bittet Gott, dass er verzeih uns Allen!

Sturzregen haben unsern Leib zerspült,
die Sonne uns geschwärzt und ausgedörrt,
Krähn, Raben uns die Augen ausgewühlt,
uns Bart und Brauen aus der Haut gezerrt.
Niemals, kein Stündchen Ruh am warmen Herd;
nur wipp und wapp, und immer wippwapp wieder,
umschwärmt von Krähn, die Winde um die Glieder,
zerhackt, zerlöcherter als Hosenschnallen!
Ja: vor Uns Brüdern seid ihr sicher, Brüder -
doch: bittet Gott, dass er verzeih uns Allen!

(François de Villon, 1431- nach 1463;
übersetzt von Richard Dehmel)

Ich leb, ich sterb: ich brenn und ich ertrinke,
ich dulde Glut und bin doch wie im Eise;
mein Leben übertreibt die harte Weise
und die verwöhnende und mischt das Linke

mir mit dem Rechten, Tränen und Gelächter.
Ganz im Vergnügen find ich Stellen Leides,
was ich besitz, geht hin und wird doch echter:
ich dörr in einem und ich grüne, beides.

So nimmt der Gott mich her und hin. Und wenn
ich manchmal mein, nun wird der Schmerz am größten,
fühl ich mich plötzlich ganz gestillt und leicht.

Und glaub ich dann, ein Dasein sei erreicht,
reißt er mich nieder aus dem schon Erlösten
in eine Trübsal, die ich wiederkenn.

(Louise Labé, 1525-1566;
übersetzt von Rainer Maria Rilke)

Der alte Vagabund

Hier in den Graben hingesunken,
Ein Greis, mein müdes Auge bricht.
Man sieht’s und spricht: Er ist betrunken.
Gut, so beklagen sie mich nicht.
Der wendet seinen Blick zur Seite,
Der wirft herunter ein’ge Sous.
Vorbei! Euch winkt des Festes Freude,
Der Vagabund geht ohne euch zur Ruh.

Vor Alter muss ich wohl hier sterben,
Da Hungers niemand sterben soll.
Im Spittel dacht’ ich zu erwerben
Ein Sterbebett, doch „Alles Voll.“
Wie gleicht dem leidgetränkten Schwamme
Das arme Volk so wunderbar;
Einst war die Straße meine Amme,
Der Vagabund stirbt, wo man ihn gebar.

Als Junge wollt’ ich in die Lehre,
Jedoch kein Meister nahm mich an,
Die Achsel ward gezuckt, es wäre
Kein Platz, und „bettle“ hieß es dann.
Jetzt aber heißt es: „Du musst schaffen.“
Ein Knochen war mein Festgericht,
Auf eurer Streu hab’ ich geschlafen.
Der Vagabund flucht euch dennoch nicht.

So arm, obgleich ich stehlen konnte,
Nein, nur das Mitleid rief ich wach,
Der reifend sich am Wege sonnte,
Kaum dass ich mir den Apfel brach.
Und doch hat man mich oft geschmissen
„Von Rechtenswegen“ in das Loch,
Die einz’ge Habe mir entrissen.
Dem Vagabund gehört die Sonne doch?

Hat denn ein Vaterland der Arme?
Was kann mir eure Frucht, eu’r Wein,
Eu’r Ruhm, eurer Maschinen Arme,
Was eure Deputierten sein?
Als eure Tore nicht verschlossen,
Der Fremden Einzug nicht gewehrt,
Tor, der ich Tränen da vergossen,
Der Vagabund, den ihre Hand genährt!

Ihr hättet gleich mich nur zertreten
Als lästiges Insekt gesollt.
Wenn ihr, wie sehr ich auch gebeten,
Mich nicht unterrichten wollt.
Nun bin ich so wie ihr mich machtet,
Ein Nichtsnutz, Wurm, kurz, was ich kunnt,
Im Leben liebt’ ich euch, verachtet
Und allen fluchend stirbt der Vagabund.

(Pierre-Jean de Béranger, 1780-1857;
übersetzt von Georg Weber)

Vergänglichkeit und Vergeblichkeit des Lebens sind die Themen der folgenden beiden Gedichte von Victor Hugo und Alfred de Musset. Während der in Deutschland mehr durch seine Romane bekannte Hugo einen eher französisch-lässigen Blick auf seinen eigenen Tod wirft, dichtet de Musset einen äußerst uncharmanten Nachruf auf eine unbekannte Dame. Wer hätte so etwas von einem Franzosen gedacht?

Der Morgen

O sieh den Morgen lächelnd sich entschleiern,
O sieh den Turm, wie er von Strahlen glüht.
Horch! Wie dem Ruhm die Freude, zieht
Des jungen Tages ersten Feuern
Entgegen schon der Wälder erstes Lied.

Ja, lächle nur bei all dem Schönen.
Dieselbe Sonne leuchtet deinen Tränen,
Wenn morgen mich der dunkle Sarg verschlingt.
Ob meinem Grabe von denselben Tönen
Erschallt der Wald, davon er heute klingt?

Dann aber wird die Seele selig schweben
Im Grenzenlosen über Raum und Zeit.
Im Morgenrot der Ewigkeit
Wird man erwachen einst vom Leben,
Gleichwie aus wüster Traumgesichte Streit.

(Victor Hugo, 1802-1885;
übersetzt von Ferdinand Freiligrath)

Auf eine Tote

Ja, sie war schön, wenn man die Nacht
Schön nennen kann in der Kapelle,
Zu deren kalter Marmorpracht
Nie dringen kann des Tages Helle,

Ja, sie war gut, wenn es genügt,
Almosen im Vorübereilen,
Wie es der Zufall eben fügt,
Und ohne Mitleid auszuteilen.

Sie dachte, - wenn wir bei dem Schall,
Der einer weichen Stimm entquollen
Eintönig wie des Bächleins Fall,
Schon an Gedanken glauben sollen.

Sie betete, wenn Beten heißt:
Dass sich zwei schöne Augensterne
Bald niedersenken wie verwaist,
Bald heben zu der Himmelsferne.

Gelächelt hätte sie - wenn Duft
Aus Blumen, die sich nie erschlossen,
Verströmen könnte in die Luft,
Die rasch vergisst, was sie genossen.

Sie hätte wohl geweint, wenn nur
In ihr zur Bildung einer Zähre
Dem Erdenton die kleinste Spur
Vom Himmelstau geblieben wäre.

Sie hätte wohl geliebt, wenn nicht
Der Stolz - gleich dem am Totenbette
Nutzlos entflammten Kerzenlicht -
Ihr starres Herz gehütet hätte.

Sie starb und hatte nie gelebt.
Ein Schemen war sie nur, kein Wesen.
Aus ihrer Hand zu Boden bebt
Das Buch, in dem sie nichts gelesen.

(Alfred de Musset, 1810-1857;
übersetzt von Otto Baisch)

Den Abschluss bildet das Dreigestirn der modernen französischen Lyrik Baudelaire, Verlaine und Rimbaud mit ganz unterschiedlichem Gebrauch der Themen Trauer und Tod. Charles Baudelaire suhlt sich in Gedanken um seinen Kadaver, was für die Leser des 19.Jahrhunderts wahrscheinlich sehr verstörend gewirkt hat. Paul Verlaine hingegen will einen Schwermütigen aufrütteln, damit er sein Leben nicht verpasst. Arthur Rimbaud nähert sich dem gewaltsamen Tod im Krieg auf sonderbar friedliche Weise. Ein Kontrapunkt zu den damaligen, oft noch heroischen literarischen Verarbeitungen des Krieges.

Der freudige Tote

Schwer soll der Grund und reich an Schnecken sein,
Wo meine Gruft zu schaufeln ich begehre,
Dass dort zum Schlaf sich streckt mein alterndes Gebein
Und im Vergessen ruht gleich wie der Hai im Meere.

Ich hasse Testamente, Grab und Stein,
Und von der Welt erbettl ich keine Zähre;
Nein, lieber lüde ich den Schwarm der Raben ein,
Damit er stückweis mein verwesend Aas verzehre.

O Würmer! Schwarz Geleit ohn Auge, ohne Ohr!
Ein Abgeschiedner kommt, der froh den Tod erkor.
Ihr Söhne des Zerfalls, die dem Genusse leben,

Durch meine Trümmer kriecht mit reuelosem Mut
Und sagt mir: kann es wohl noch eine Folter geben
Für den entseelten Leib, der tot bei Toten ruht?

(Charles Baudelaire, 1821-1867;
übersetzt von Wolf von Kalckreuth)

Es glänzt der Himmel über dem Dach
So blau, so stille.
Ein Baum wiegt draußen über dem Dach
Der Blätter Fülle.

Eine Glocke im Himmel, den du siehst,
Hörst sanft du klingen,
Einen Vogel auf dem Baum, den du siehst,
Seine Klage singen.

Mein Gott! Mein Gott! Das Leben fließt dort
Ohne Leiden und Härmen,
Vom Städtchen kommt mir herüber dort
Ein friedliches Lärmen.

Und du dort, der weint bei Tag und Nacht
In schmerzlicher Klage,
O sage mir du dort, wie hast du verbracht
Deine jungen Tage?

(Paul Verlaine, 1844-1896;
übersetzt von Wolf von Kalckreuth)

Der Schläfer im Tal

Ein grüner winkel den ein bach befeuchtet
Der toll das gras mit silberflecken säumt ·
Wohin vom stolzen berg die sonne leuchtet -
Ein kleiner wasserfall von strahlen schäumt.

Ein kriegsmann jung barhaupt mit offnem munde
Den nacken badend in dem blauen kraut
Schläft unter freiem himmel · bleich · am grunde
Gestreckt · im grünen bett vom licht betaut.

Ein strauch deckt seine füsse. Wie ein kind
Lächelnd das krank ist hält er seinen schlummer.
Natur umhüll ihn warm! es friert ihn noch.

Ihm zuckt die nase nicht vom duftigen wind.
Er schläft im sonnenschein · die hand auf stummer
Brust - auf der rechten ist ein rotes loch.

(Arthur Rimbaud, 1854-1891;
übersetzt von Stefan George)

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