Kopfgrafik der Gedichte-AnzeigeZur Startseite von Lyrik-Lesezeichen

Gedichte der Romantik

Dass die literarische Epoche der Romantik mit Dingen, die man heute umgangssprachlich als 'romantisch' bezeichnet, nur bedingt etwas zu tun hat, ist relativ bekannt. Überraschen wird es eher, wenn man erfährt, dass diese kulturelle Bewegung, die in Deutschland etwa ab 1790 einsetzte und europaweit Anklang und Anhänger fand, mit der Lyrik, für die sie im Nachhinein so prädestiniert scheint, zunächst wenig zu schaffen hatte. Denn diese Generation von Denkern und Dichtern setzte sich anfangs überwiegend theoretisch und kritisch mit den vorangegangen Epochen der Aufklärung und Klassik auseinander; der zunächst eher abwertende Name "romantisch" hatte auch die Nebenbedeutung "romanhaft". Und eingefügt in Romane oder Märchen als Basis dichterischer romantischer Literatur fand Ludwig Tieck als Erster spezifische Verse für die neue geistige Bewegung. Er formulierte eine Art Programm der Romantisierung in einem Vierzeiler, das hier zur Eröffnung steht. Charakterisieren sollen die Romantik daran anschließend Novalis' berühmte Verse und, aus Sicht des Nachgeborenen, ein Epigramm von Grillparzer.

 

Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Märchenwelt,
Steig auf in der alten Pracht.

(Ludwig Tieck, 1773-1853)

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit wieder gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

(Novalis, 1772-1801)

Doch wisst ihr auch, was Romantik heißt?
Mustert die Muster in eurem Geist.
Romantik weicht von der Dichtkunst nie,
Sie ist ihre Mutter: die Phantasie.

(Franz Grillparzer, 1791-1872)

Bei Novalis ist noch mehr über die Romantik zu erfahren, zumindest über den ihr innewohnenden Hang zu Dunkelheit und mystischer Verschmelzung. Seiner ersten "Hymne an die Nacht" (deren abschließende sechste in Religiöse GedichteReligiöse Gedichte zu lesen ist) folgt das thematisch nahe "An die Nacht" des englischen Romantikers Shelley, dessen andere, diesseitig-engagierte Seite unter Politische GedichtePolitische Gedichte mit An Englands Männer dokumentiert ist.

Hymnen an die Nacht

1.

Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn, das allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut - atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier - vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. - Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.

Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt - wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. - Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?

Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt - ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun - wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied - Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht - deine Wiederkehr - in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie, als die blässesten jener zahllosen Heere - unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts - was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe - sie sendet mir dich - zarte Geliebte - liebliche Sonne der Nacht, - nun wach ich - denn ich bin Dein und Mein - du hast die Nacht mir zum Leben verkündet - mich zum Menschen gemacht - zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.

(Novalis, 1772-1801)

An die Nacht

Wandle schnell übers westliche Meer,
O Geist der Nacht,
Von des Ostens nebliger Höhle her,
Wo den Tag hindurch in einsamer Pracht
Du Träume von Lust und Leid gewebt, B
ei denen man jauchzt, bei denen man bebt -
Komm schnell und sacht!

Hüll dich ein in ein dunkles Gewand
Mit Sternenzier!
Dein Haar verdunkle des Tages Brand,
Küss ihn, bis ganz er erlegen dir;
Dann wandre weit über Stadt und Land,
Bis dein Mohnstab alles in Schlummer bannt -
O komm zu mir!

Als ich erwachte im dämmernden Grau,
Ersehnt ich dich;
Als im Sonnenscheine verdunstet der Tau,
Als des Mittags Schwüle die Flur beschlich,
Als der müde Tag sich wandte zur Rast,
Lang zögernd wie ein verhasster Gast,
Ersehnt ich dich.

Dein Bruder Tod frag sanft und lind:
»Willst du mich?«
Der blinzelnde Schlaf, dein süßes Kind,
Wie Bienengesumm mein Haupt umschlich:
»Soll ich mich schmiegen ans Herz dir? sag!
Riefst du mich an?« - Ich aber sprach:
»O nein, nicht dich!«

Der Tod kommt, wenn du tot bist, schon
Gar bald, zu bald;
Es kommt der Schlaf, wenn du entflohn;
Ihr Werben ist an mir verhallt -
So hör mich du, geliebte Nacht:
Breit um mich deiner Schwingen Pracht,
Komm bald, o bald!

(Percy Bysshe Shelley, 1792-1822;
aus dem Englischen von Adolf Strodtmann)

Ganz anders als solche abgründigen Träume und für die Lyrik folgenreicher kommt die romantische Bemühung um Volkstümlichkeit daher. Epochal wirkte eine umfangreiche Anthologie von auf Reisen und in alten Büchern gesammelten sowie selbstverfassten Volksliedern von Achim von Arnim und Clemens Brentano, das 1806-08 erschienene "Des Knaben Wunderhorn". Nach dessen Einleitungsgedicht ist hier als berühmtes Beispiel "Wenn ich ein Vöglein wär'" zu lesen.
Dem folgt eine Kostprobe von Brentanos virtuoser Musikalität, der im Übrigen mit der Lore Lay (Zu Bacherach am Rheine... in BalladenBalladen) eine der bekanntesten Sagen um den Rhein begründete.
Wilhelm Müller, bekannt durch sangbare, allbekannte Lieder wie Der Lindenbaum, Das Wandern ist des Müllers Lust, oder Im Krug zum grünen Kranze, soll hier hingegen dokumentieren, dass Romantik sich nie in gewollter Schlichtheit, Naivität und Sentimentalität erschöpfte, sondern all dies reflektierte und ironisierte. Ein entlarvend satirischer Zug eignet dem Anfang des Prologs aus dem Zyklus "Die schöne Müllerin".

Das Wunderhorn

Ein Knab auf schnellem Roß
Sprengt auf der Kaisrin Schloß,
Das Roß zur Erd sich neigt,
Der Knab sich zierlich beugt.

Wie lieblich, artig, schön
Die Frauen sich ansehn,
Ein Horn trug seine Hand,
Daran vier goldne Band.

Gar mancher schöne Stein
Gelegt ins Gold hinein,
Viel Perlen und Rubin
Die Augen auf sich ziehn.

Das Horn vom Elephant,
So gros man keinen fand,
So schön man keinen fing
Und oben dran ein Ring,

Wie Silber blinken kann
Und hundert Glocken dran
Vom feinsten Gold gemacht,
Aus tiefem Meer gebracht.

Von einer Meerfey Hand
Der Kaiserin gesandt,
Zu ihrer Reinheit Preis,
Dieweil sie schön und weis'.

Der schöne Knab sagt auch:
»Dies ist des Horns Gebrauch:
Ein Druck von Eurem Finger,
Ein Druck von Eurem Finger

Und diese Glocken all,
Sie geben süßen Schall,
Wie nie ein Harfenklang
Und keiner Frauen Sang,

Kein Vogel obenher,
Die Jungfraun nicht im Meer
Nie so was geben an!«
Fort sprengt der Knab bergan,

Ließ in der Kaisrin Hand
Das Horn, so weltbekannt;
Ein Druck von ihrem Finger,
O süßes hell Geklinge!

(aus: Des Knaben Wunderhorn,
hrsg. von Achim von Armin und Clemens Brentano)

 

Wenn ich ein Vöglein wär
Und auch zwei Flüglein hätt,
Flög ich zu dir;
Weils aber nicht kann sein
bleib ich allhier.

Bin ich gleich weit von dir,
Bin ich doch im Schlaf bei dir,
Und red' mit dir;
Wenn ich erwachen tu,
Bin ich allein.

Es vergeht keine Stund in der Nacht,
Da mein Herz nicht erwacht,
Und an dich denkt,
Dass du mir viel tausendmal
Dein Herze geschenkt.

(aus: Des Knaben Wunderhorn,
hrsg. von Achim von Armin und Clemens Brentano)

 

Lieb und Leid im leichten Leben
Sich erheben, abwärts schweben,
Alles will das Herz umfangen,
Nur Verlangen, nie erlangen,

In dem Spiegel all ihr Bilder
Blicket milder, blicket wilder
Jugend kann doch nichts versäumen
Fort zu träumen, fort zu schäumen.

Frühling soll mit süßen Blicken
Sie entzücken und berücken,
Sommer mich mit Frucht und Myrten,
Reich bewirten, froh umgürten.

Herbst du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben
Mich verderben, Frühling erben.

Wasser fallen um zu springen,
Um zu klingen, um zu singen,
Schweig ich stille, wie und wo?
Trüb und froh, nur so, so!

(Clemens Brentano, 1778-1842)

Der Dichter, als Prolog

Ich lad' euch, schöne Damen, kluge Herrn,
Und die ihr hört und schaut was Gutes gern,
Zu einem funkelnagelneuen Spiel
Im allerfunkelnagelneusten Stil;
Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt,
Mit edler deutscher Rohheit aufgeputzt,
Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstrauß,
Dazu wohl auch ein wenig fromm für's Haus:
Das mag genug mir zur Empfehlung sein,
Wem die behagt, der trete nur herein.
Erhoffe, weil es grad' ist Winterzeit,
Tut euch ein Stündlein hier im Grün nicht Leid;
Denn wisst es nur, dass heut' in meinem Lied
Der Lenz mit allen seinen Blumen blüht.
Im Freien geht die freie Handlung vor,
In reiner Luft, weit von der Städte Tor,
Durch Wald und Feld, in Gründen, auf den Höhn;
Und was nur in vier Wänden darf geschehn,
Das schaut ihr halb durch's offne Fenster an,
So ist der Kunst und euch genug getan.

(Wilhelm Müller, 1794-1827)

Bei der Vielfältigkeit romantischen Dichtens sind weitere Ausblicke über die deutschen Sprachgrenzen unentbehrlich. In Frankreich ging aus dieser Epoche die dominierende Schriftstellergestalt des 19. Jahrhunderts hervor, Victor Hugo, der galant dafür einstehen soll, dass die heute mit Romantik verbundene Seligkeit nicht vermisst wird. Eine lyrische Blütezeit entspross nach 1800 in England, neben dem schon zitierten Shelley hier vertreten durch John Keats (siehe auch sein La belle Dame sans merci in BalladenBalladen). Schließlich prägte diese Bewegung auch Alexander Puschkin, der das Russische erst zur Literatursprache erhob.

Komm, junge Zauberin

Komm, junge Zauberin, die meine Seele bannte!
Als Göttin priese dich Virgil, als Engel Dante,
So hoch ist deine Stirn, so schwebend leicht dein Fuß,
Und vom halboffnen Mund so lieblich klingt dein Gruß.
Wie müsste wundervoll zu deinen stolzen Brauen
Der blaue Panzer stehn der alten Schildjungfrauen.
Und mehr als ein Serail beneidete vielleicht
Der um der Lippen Rot, das der Koralle gleicht.

Cellini würd, entzückt von deiner Anmut gülden
Auf einem Trinkgefäß dein holdes Gleichnis bilden,
Wie du, das Haupt empor, mit sanftgebognem Leib
Aus einer Lilie stiegst, die ausläuft in ein Weib,
Aus einem Lotuskelch, von Laubgerank umkleidet,
Um dessen fremden Reiz Natur die Kunst beneidet.

Komm und hör mich an, du, deren Blick ein Strahl.
Der Tag, an dem ich dir genaht zum erstenmal,
Das war ein goldner Tag. O, blieb in deinem Innern,
So wie in meiner Brust, von ihm ein licht Erinnern?
Du lächelst. Gib mir denn die Hand so weiß und weich,
Und komm. Der Frühling blüht, der Pfad ist schattenreich,
Die Luft ist lau, und dort am Hang im Eichengrunde
Vernimmt kein lauschend Ohr das Wort aus unserm Munde.

(Victor Hugo, 1802-1885;
aus dem Französischen von Emanuel Geibel)

Grashüpfer und Heimchen

Niemals ist tot der Erde Poesie:
Wenn Vögel müde sind von heißen Sonnen,
Dann nimmt die Führung in den Sommerwonnen
Grashüpfers Stimme, und sie rastet nie.

Von Heck zu Hecke rennt die Melodie
Und hält die frischgemähte Trift umsponnen;
Macht Lust ihn matt, so ruht er süß versonnen
Bei grünstem Halme, der für ihn gedieh.

Nie endet sie, die Poesie der Erde.
Am stillen Winterabend, wenn der grimme
Nachtfrost ein Schweigen breitet, schrillt vom Herde

Des Heimchens Sang dem Träumer in die Ohren,
Als habe sich Grashüpfers Sommerstimme
Aus grüner Trift in seinen Traum verloren.

(John Keats, 1795-1821;
aus dem Englischen von Gisela Etzel)

Die Wolke

Die letzte der Wolken nach Sturmes Gedräue
Nur du fliegst dahin durch die heitere Bläue,
Nur du wirfst den Schatten hinab auf die Au,
Nur du hüllst den festlichen Mittag in Grau.

Noch jüngst überdeckte den Himmel dein Dunkel
Und drohend umwand dich der Blitze Gefunkel,
Geheimnisvoll tönte den Donner dein Mund,
Du tränktest mit Regen den durstigen Grund.

Genug, geh von hinnen! die Zeit ist entwichen,
Die Erde ward kühl und die Stürme verstrichen
Und streichelnd die Blätter der Bäume gelind
Vom ruhigen Himmel verjagt dich der Wind.

(Alexander Puschkin, 1799-1837;
aus dem Russischen von Henry von Heiseler)

Als Ausklang der literarischen Romantik in Deutschland kann man Joseph von EichendorffJoseph von Eichendorff ansehen, Heinrich HeineHeinrich Heine hingegen als ihren Nachklang, Verwerter und Kritiker. Vor allem diese beiden Autoren ließen romantisches Erbe in der Lyrik populär werden. Eichendorffs berühmter Vierzeiler spricht einen wesentlichen Aspekt aus: der Glauben an die Macht von Poesie und Phantasie. Den Abschluss dieser kleinen Sammlung bildet darum eine Sänger-Ballade des Spätromantikers Uhland, die ebendies in mittelalterlicher Szenerie illustriert.

Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff, 1788-1857)

Des Sängers Fluch

Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,
Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Ross,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,
Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Dass reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit,
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?"
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt.
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm.
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm;
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind't ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss.

Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
Da fasst er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Gärten gellt:

"Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt,
Dass ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.

Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!

(Ludwig Uhland, 1787-1862)

 

Webtipps Gedichte der Romantik Gedichte der Romantik im Internet

Profund und kompakt kann man sich bei Xlibris über die literarische Romantik einführen lassen. Unter Auf der Flucht: findet sich eine auf den Schulunterricht gemünzte Topographie der Romantik, die wichtige Merkmale am Beispiel repräsentativer und berühmter Gedichte vorführt.
Erwähnenswert ist weiterhin eine umfassende Webseite zu Novalis und Des Knaben Wunderhorn im Volltext.
Zum abschließenden Ausschweifen sei noch Malerei der Romantik empfohlen, wo man sich über deren Phasen, Vertreter und über die deutschen Grenzen hinaus orientieren kann.

 

Verwandte Themen: Balladen · Joseph von Eichendorff · Englische Gedichte · Heinrich Heine

Alle Themen: Startseite

Fussgrafik der Gedichte-Anzeige