Anders sein und anders scheinen,
Anders reden, anders meinen,
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,
Allem Winde Segel geben,
Bös- und Guten dienstbar leben;
Alles Tun und alles Tichten
Bloß auf eignen Nutzen richten:
Wer sich dessen will befleißen,
Kann politisch heuer heißen.
(Friedrich von Logau, 1604-1655)
Logaus "politisch heuer" scheint eines für die Ewigkeit, zumindest solange irgendwer die Welt-Kunst Politik macht und Macht hat. Die älteste und lange einzig überlieferte Erscheinungsweise politischer Lyrik ist indes nicht die kritische, der diese Auswahl gewidmet ist, sondern eine die Obrigkeit stützende und verherrlichende.
Wie jedoch auch rebellische Verse die Staatsräson befördern können, zeigt Heine, der damit ambitionierte Schriftsteller warnt, die tatsächliche Wirksamkeit ihrer Erzeugnisse zu bedenken.
Du singst, wie einst Tyrtäus sang,
Von Heldenmut beseelet,
Doch hast du schlecht dein Publikum
Und deine Zeit gewählet.
Beifällig horchen sie dir zwar,
Und loben, schier begeistert:
Wie edel dein Gedankenflug,
Wie du die Form bemeistert.
Sie pflegen auch beim Glase Wein
Ein Vivat dir zu bringen
Und manchen Schlachtgesang von dir
Lautbrüllend nachzusingen.
Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
Des Abends in der Schenke:
Das fördert die Verdauungskraft,
Und würzet die Getränke.
(Heinrich Heine, 1797-1856; 1841)
Hoffmann von Fallersleben soll mit seinem folgenden Lied aus demselben Jahr wie der Vortext Repräsentant des Vormärz sein, in dem die deutsche Lyrik wie kaum je vorher oder nachher politisch gegen Unfreiheit und Zensur eingesetzt wurde. Ähnlich engagiert ist Shelley, was bei einem Vertreter der englischen Romantik manchen überraschen mag. Einen denkbar schroffen Gegensatz liefert George, der sich zeitlebens aus politischen und sozialen Belangen nach dem Prinzip l'art pour l'art heraushielt, seiner Gegenwart jedoch mit solch anklagender Verachtung entgegentritt, wie es ein Revolutionär nicht eindringlicher könnte.
Ein politisch Lied, ein garstig Lied!
So dachten die Dichter mit Goethen
Und glaubten, sie hätten genug getan,
Wenn sie könnten girren und flöten
Von Nachtigallen, von Lieb und Wein,
Von blauen Bergesfernen,
Von Rosenduft und Lilienschein,
Von Sonne, Mond und Sternen.
Ein politisch Lied, ein garstig Lied!
So dachten die Dichter mit Goethen
Und glaubten, sie hätten genug getan,
Wenn sie könnten girren und flöten -
Doch anders dachte das Vaterland:
Das will von der Dichterinnung
Für den verbrauchten Leiertand
Nur Mut und biedre Gesinnung.
Ich sang nach alter Sitt' und Brauch
Von Mond und Sternen und Sonne,
Von Wein und Nachtigallen auch,
Von Liebeslust und Wonne.
Da rief mir zu das Vaterland:
Du sollst das Alte lassen,
Den alten verbrauchten Leiertand,
Du sollst die Zeit erfassen!
Denn anders geworden ist die Welt,
Es leben andere Leute;
Was gestern noch stand, schon heute fällt,
Was gestern nicht galt, gilt heute.
Und wer nicht die Kunst in unserer Zeit
Weiß gegen die Zeit zu richten,
Der werde nun endlich bei Zeiten gescheit
Und lasse lieber das Dichten!
(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874; 1841)
Männer Englands! was bestellt
Euren Zwingherrn ihr das Feld?
Warum webet eure Hand
Der Tyrannen Prachtgewand?
Warum gebt der Drohnenbrut,
Die von eurem Schweiß und Blut
Frech sich nährt, ihr immer noch
Speis und Trank, und front im Joch?
Bienen Englands! warum schafft
Ihr zur eignen Schmach und Haft
Waffen, Ketten immerdar
Für die feige Drohnenschar?
Habt ihr Obdach, Nahrung, Ruh?
Winkt euch Glück und Liebe zu?
Sagt, um welchen Hochgewinn
Gebt ihr Schweiß und Blut dahin?
Ihr sät das Korn für andre nur,
Durchwühlt für sie nach Gold die Flur,
Für andre wirkt ihr das Gewand,
Und euer Schwert trägt andre Hand.
Sät Korn - doch für den Zwingherrn nicht!
Schürft Gold - doch nicht dem faulen Wicht!
Webt Kleider - nicht dem Schelm zu Nutz!
Schweißt Waffen - selber euch zum Schutz!
In Kellern, Höhlen suchet Rast -
Ihr baut für andre den Palast!
Was flucht ihr eurer Not? Euch trifft
Ja nur der Stahl, den selbst ihr schlifft!
(Percy Bysshe Shelley, 1792-1822;
aus dem Englischen von Adolf Strodtmann)
Dass ich zu eurer zeit erwachen musste
Der ich die pracht der Treverstadt [+] gekannt
Da sie den ruhm der schwester Roma teilte ·
Da auge glühend groß die züge traf
Der klirrenden legionen · in der rennbahn
Die blonden Franken die mit löwen stritten ·
Die tuben vor palästen und den Gott
Augustus purpurn auf den goldnen wagen!
Hier zog die Mosel zwischen heitren villen..
O welch ein taumel klang beim fest des weines!
Die mädchen trugen urnen lebensschwellend -
Kaum kenn ich diese trümmer · an den resten
Der kaiserlichen mauern leckt der nebel ·
Entweiht in särgen liegen heilige bilder ·
Daneben hingewühlt barbarenhöhlen..
Nur aufrecht steht noch mein geliebtes tor!
Im schwarzen flor der zeiten doch voll stolz
Wirft es aus hundert fenstern die verachtung
Auf eure schlechten hütten (reisst es ein
W as euch so dauernd höhnt!) auf eure menschen:
Die fürsten priester knechte gleicher art
Gedunsne larven mit erloschnen blicken
Und frauen die ein sklav zu feil befände -
Was gelten alle dinge die ihr rühmet:
Das edelste ging euch verloren: blut..
Wir schatten atmen kräftiger! lebendige
Gespenster! lacht der knabe Manlius..
Er möchte über euch kein zepter schwingen
Der sich des niedrigsten erwerbs beflissen
Den ihr zu nennen scheut - ich ging gesalbt
Mit perserdüften um dies nächtige tor
Und gab mich preis den söldnern der Cäsaren!
(Stefan George, 1868-1933; 1907.
[+] gemeint ist Trier mit seinem Wahrzeichnen, einem ca. 1800 Jahre alten römischen Stadttor)
Von Georges Fanal einer idealisierten Vergangenheit zu politischen Utopien ist es nicht weit. Diese drückten sich auch in lyrischen Formen aus, aber selten so wirkungsmächtig wie beim legendären Weisen Laotse, der schon vor 2500 Jahren ein Zurück zur Steinzeit propagierte.
Wenn beim Sprung ins europäische Mittelalter in einem der bloß zwei überlieferten lyrischen Texte Gottfrieds das Gespenst des Kommunismus umgeht, blieb dies zwar lange verborgen, lässt aber aufhorchen.
Doch was hätte im 20. Jahrhundert anders laufen können, wenn Tucholskys bitteres satirisches Sprachspiel weniger als kabarettistischer Gag, sondern als Praxis gewaltlosen Widerstands eingesetzt worden wäre...
Ein Land mag klein sein
und seine Bewohner wenig.
Geräte, die der Menschen Kraft vervielfältigen,
lasse man nicht gebrauchen.
Man lasse das Volk den Tod wichtig nehmen
und nicht in die Ferne reisen.
Ob auch Schiffe und Wagen vorhanden wären,
sei niemand, der darin fahre.
Ob auch Panzer und Waffen da wären,
sei niemand, der sie entfalte.
Man lasse das Volk wieder Stricke knoten
und sie gebrauchen statt der Schrift.
Mach süß seine Speise
und schön seine Kleidung,
friedlich seine Wohnung
und fröhlich seine Sitten.
Nachbarländer mögen in Sehweite liegen,
daß man den Ruf der Hähne und Hunde
gegenseitig hören kann:
und doch sollen die Leute im höchsten Alter sterben,
ohne hin und her gereist zu sein.
(Laotse, Taoteking 80;
aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)
Liute unde lant die mohten mit genâden sîn,
wan zwei vil kleiniu wortelîn 'mîn' unde 'dîn',
diu briuwent michel wunder ûf der erde.
wie gânt si vrüetende und wüetende über al
und trîbent al die wélt úmbe als einen bal:
ich waene, ir krieges iemer ende werde.
Diu vertâne gîte
diu wahset allez umbe sich dâher sît Êven zîte
und irret elliu herze und elliu rîche.
dewander hant noch zunge
die méinènt noch minnent niht wan valsch und anderunge.
lêre und volge liegent offenlîche.
(Gottfried von Straßburg, gestorben ca. 1220)
Leuten und Land könnte es passabel ergehen,
gäb's nicht die winzigen Wörtchen mein und dein,
die auf der Erde höchst Wunderliches zusammenbrauen!
Wie stapfen sie überall rüstig und verheerend
und treten die Welt umher wie einen Ball.
Ich glaube, dass ihr Krieg nie enden wird.
Die völlig überflüssige Habgier
wächst um alles seit Evas Zeiten,
macht alle Herzen und Reiche irre.
Weder Hand noch Zunge
erstreben und lieben anderes als Falschheit Zerteilung Umsturz.
Die Lehren und Wirkungen liegen offen.
(Übertragung aus dem Mittelhochdeutschen von Wersch)
Ihr müsst sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht - sie sind so zart!
Ihr müsst mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft -:
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: "Ja und Amen - aber gern!
Hier habt ihr mich - schlagt mich in Fetzen!"
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft.
Und schießen sie -: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen ...
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft -:
Küsst die Faschisten, küsst die Faschisten,
küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft -!
(Kurt Tucholsky, 1890-1935)
Drei politische Er- und Bekenntnisse kann man daran anschließen:
Ringelnatz' für Publikum wie Wahlvolk geltendes Schwindel-Chanson, gefolgt von Kraus' unverbiegbarer Konsequenz jenseits von Ideologien und Fraktionen. Noch einmal Laotse formuliert eine Kritik und Utopie, die ebenso naiv und archaisch klingt wie sie auch medial-technisiert denkbar ist.
Wer die Masse kennt, wird auf linksherum
Oder rechtsherum erfolgreich sein,
Wenn er Schwindel macht. Denn das Publikum
Fällt auf jeden Schwindel stets herein.
Ganz altaktuell, frech und möglichst dumm,
Breit und kitschig muss die Sache sein,
Denn das Publikum, das große Publikum
Fällt auf jeden Schwindel glatt herein.
Von dem Drum und Dran und von dem Dran und Drum
Will es gar nicht unterrichtet sein.
Denn das Publikum, das große Publikum
Fällt auf jeden Schwindel gern herein.
Applaudiert ihr jetzt mir? Und wenn ja, warum?
O ich prüfe Euch an diesem Stein!
Denn das Publikum, das große Publikum
Will durchaus, durchaus beschwindelt sein.
(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)
Wo Leben sie der Lüge unterjochten,
war ich Revolutionär.
Wo gegen die Natur sie auf Normen pochten,
war ich Revolutionär.
Mit lebendig Leidendem hab ich gelitten.
Wo Freiheit sie für Phrase nutzten,
war ich Reaktionär.
Wo Kunst sie mit ihrem Können beschmutzten,
war ich Reaktionär.
Und bin bis zum Ursprung zurückgeschritten.
(Karl Kraus, 1874-1936)
Herrscht ein ganz Großer,
so weiß das Volk kaum, dass er da ist.
Mindere werden geliebt und gelobt,
noch Mindere werden gefürchtet,
noch Mindere werden verachtet.
Wie überlegt muss man sein in seinen Worten!
Die Werke sind vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf,
und die Leute denken alle:
"Wir sind frei."
(Laotse, Taoteking 17;
aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)
Zur Verabschiedung der politkritischen Lyrik dienen hier Epigramme von Hölderlin, der den korrektiven Impuls des Dichters und Intellektuellen auf den Punkt bringt, und Grillparzer mit einem gestisch-schmunzeligen Hinweis auf den Hauptakteur aller Politbühnen.
Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen,
Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit.
(Friedrich Hölderlin, 1770-1843)
In Politik zwei wichtge kleine Dinger
Sind Daumen eben und Zeigefinger,
Sie halten die Feder,
Das weiß ein jeder.
Doch Wichtgres noch wird oft durch sie betrieben,
Wenn sie sich übereinander schieben.
(Franz Grillparzer, 1791-1872)
Außer einer kleineren Auswahl bei Gedichte für alle Fälle hat das Web hierzu bisher nichts Erwähnens- oder gar Empfehlenswertes offenbart. Es bleibt nur, auf gelungene Seiten über Autoren hinzuweisen, deren politische Lyrik bis heute Aufsehen erregt: Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Eugen Roth und Kurt Tucholsky.
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