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Wilhelm BuschWilhelm Busch

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Ach, was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen; ...

(Beginn der Bildergeschichte "Max und Moritz", 1865)

So kennt man ihn, das fällt bei seinem Namen zuerst ein. Und gleich hat man die Irrtümer über Busch huckepack, er schriebe nur für und über Kinder, sei ein mahnender, aber gutmütiger Onkel, der schnurrige Reime über die schön bösen Streiche von Lausbuben und Raben erzählt.
Doch zu dem haarigen Selbstporträt oben fällt einem diese Strophe ein:

Wenn alles sitzen bliebe,
Was wir in Hass und Liebe
So voneinander schwatzen;
Wenn Lügen Haare wären,
Wir wären rauh wie Bären
Und hätten keine Glatzen.


Sie entstammt "Kritik des Herzens" (1874), Buschs erstem Band mit 'echten' Gedichten, die nicht an Bilder und damit erzählte Geschichten gebunden sind. Ihm schlossen sich noch "Zu guter Letzt" (1904) und posthum "Schein und Sein" (1909) an. Wenn man diesem gedankenlyrischen Zweig seines Werkes folgt, werden die Hintergründe des Humoristen deutlicher, wenngleich er kaum seinen typischen Knittelverston aufgibt und einige Texte aus diesen Zyklen nur darauf zu warten scheinen, mit einer karikierenden Zeichnung unterlegt zu werden (wie auch Die Affen in Lustige GedichteLustige Gedichte):

Sie stritten sich beim Wein herum,
Was das nun wieder wäre;
Das mit dem Darwin wär gar zu dumm
Und wider die menschliche Ehre.

Sie tranken manchen Humpen aus,
Sie stolperten aus den Türen,
Sie grunzten vernehmlich und kamen zu Haus
Gekrochen auf allen vieren.

(Aus: Kritik des Herzens)

Wirklich, er war unentbehrlich!
Überall, wo was geschah,
Zu dem Wohle der Gemeinde,
Er war tätig, er war da.

Schützenfest, Kasinobälle,
Pferderennen, Preisgericht,
Liedertafel, Spritzenprobe,
Ohne ihn, da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,
Keine Stunde hatt' er frei.
Gestern, als sie ihn begruben,
War er richtig auch dabei.

(Aus: Kritik des Herzens)

Der Einsame

Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.

(Aus: Zu guter Letzt)

Das Schmunzeln über solche Charaktertypen wird zwar zunehmend beklommen, bittere Desillusionierung herrscht vor, doch da Busch manchmal das Gewand der Fabel wählt, scheint er vertraut:

Bewaffneter Friede

Ganz unverhofft an einem Hügel
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.
Halt, rief der Fuchs, du Bösewicht!
Kennst du des Königs Ordre nicht?
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, daß jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht?
Im Namen seiner Majestät
Geh her und übergib dein Fell.
Der Igel sprach: Nur nicht so schnell.
Laß dir erst deine Zähne brechen,
Dann wollen wir uns weiter sprechen!
Und allsogleich macht er sich rund,
Schließt seinen dichten Stachelbund
Und trotzt getrost der ganzen Welt
Bewaffnet, doch als Friedensheld.

(Aus: Zu guter Letzt)

Bestimmung

Ein Fuchs von flüchtiger Moral
Und unbedenklich, wenn er stahl,
Schlich sich bei Nacht zum Hühnerstalle
Von einem namens Jochen Dralle,
Der, weil die Mühe ihn verdroß,
Die Tür mal wieder nicht verschloß.

Er hat sich, wie er immer pflegt,
So wie er war zu Bett gelegt.
Er schlief und schnarchte auch bereits.

Frau Dralle, welche ihrerseits
Noch wachte, denn sie hat die Grippe,
Stieß Jochen an die kurze Rippe.
Du, rief sie flüsternd, hör doch bloß,
Im Hühnerstall da ist was los;
Das ist der Fuchs, der alte Racker.

Und schon ergriff sie kühn und wacker,
Obgleich sie nur im Nachtgewand,
Den Besen, der am Ofen stand;
Indes der Jochen leise flucht
Und erst mal Licht zu machen sucht.
Sie ging voran, er hinterdrein.
Es pfeift der Wind, die Hühner schrein.

Nur zu, mahnt Jochen, sei nur dreist
Und sag Bescheid, wenn er dich beißt.

Umsonst sucht sich der Dieb zu drücken
Vor Madam Dralles Geierblicken.
Sie schlägt ihm unaussprechlich schnelle
Zwei-dreimal an derselben Stelle
Mit ihres Besens hartem Stiel
Aufs Nasenbein. Das war zuviel. -

Ein jeder kriegt, ein jeder nimmt
In dieser Welt, was ihm bestimmt.

Der Fuchs, nachdem der Balg herab,
Bekommt ein Armesündergrab.
Frau Dralle, weil sie leichtgesinnt
Sich ausgesetzt dem Winterwind
Zum Trotz der Selbsterhaltungspflicht,
Kriegt zu der Grippe noch die Gicht.

Doch Jochen kriegte hocherfreut
Infolge der Gelegenheit
Von Pelzwerk eine warme Kappe
Mit Vorder- und mit Hinterklappe.
Stets hieß es dann, wenn er sie trug:
Der ist es, der den Fuchs erschlug.

(Aus: Zu guter Letzt)

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,
Hell aufgeblüht im Sonnenschein.
Er war ein junger Schmetterling,
Der selig an der Blume hing.

Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum.
Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.

Doch was am meisten ihn entsetzt,
Das Allerschlimmste kam zuletzt.
Ein alter Esel fraß die ganze
Von ihm so heiß geliebte Pflanze.

(Aus: Kritik des Herzens)

So eingängig und altvertraut das klingt, Buschs Entlarvungen, sein Moralisieren und Bloßstellen ist keinesfalls harmlos (siehe auch Überliefert in Religiöse GedichteReligiöse Gedichte). Dass dies und das Karikieren bei ihm gar einer Art Lust an Züchtigung entspringt, verrät diese Strophe aus "Die Birke":

Von Birken eine Rute,
Gebraucht am rechten Ort,
Befördert oft das Gute
Mehr als das beste Wort.

(Aus: Zu guter Letzt)

Reue ist etwas, das man nur durch Einbläung erfährt, denn bösen Taten trauert man nur nach, wenn man sie nicht begangen hat. Hier folgen Beispiele für eine die herrschende Moral nivellierende, feine Psychologie:

Nicht artig

Man ist ja von Natur kein Engel,
Vielmehr ein Welt- und Menschenkind,
Und rings umher ist ein Gedrängel
Von solchen, die dasselbe sind.

In diesem Reich geborner Flegel,
Wer könnte sich des Lebens freun,
Würd' es versäumt, schon früh die Regel
Der Rücksicht kräftig einzubleun.

Es saust der Stock, es schwirrt die Rute.
Du darfst nicht zeigen, was du bist.
Wie schad, o Mensch, dass dir das Gute
Im Grunde so zuwider ist.

(Aus: Zu guter Letzt)

Die Tugend will nicht immer passen,
Im ganzen läßt sie etwas kalt,
Und daß man eine unterlassen,
Vergißt man bald.

Doch schmerzlich denkt manch alter Knaster,
Der von vergangnen Zeiten träumt,
An die Gelegenheit zum Laster,
Die er versäumt.

(Aus: Zu guter Letzt)

Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr.
Ersteres wird gern geübt,
Weil es allgemein beliebt.
Selbst der Lasterhafte zeigt,
Dass er gar nicht abgeneigt;
Nur er will mit seinen Sünden
Keinen guten Zweck verbinden,
Sondern, wenn die Kosten kommen,
Fühlet er sich angstbeklommen.
Dieserhalb besonders scheut
Er die fromme Geistlichkeit,
Denn ihm sagt ein stilles Grauen:
Das sind Leute, welche trauen.

(Aus der Bildergeschichte "Tobias Knopp", Beginn des Vorbemerks zu "Julchen", 1877)

Wenn mir mal ein Malheur passiert,
Ich weiß, so bist du sehr gerührt.
Du denkst, es wäre doch fatal,
Passierte dir das auch einmal.
Doch weil das böse Schmerzensding
Zum Glück an dir vorüber ging,
So ist die Sache anderseits
Für dich nicht ohne allen Reiz.
Du merkst, daß die Bedaurerei
So eine Art von Wonne sei.

(Aus: Kritik des Herzens)

Bittere und wenig anrührende Töne findet Busch auch für ein bei ihm eher untergeordnetes Thema, die Liebe:

Das Bild des Mann's in nackter Jugendkraft,
So stolz in Ruhe und bewegt so edel,
Wohl ist's ein Anblick, der Bewundrung schafft
Drum Licht herbei! Und merke dir's, o Schädel!

Jedoch ein Weib, ein unverhülltes Weib -
Da wird dir's doch ganz anders, alter Junge.
Bewundrung zieht sich durch den ganzen Leib
Und greift mit Wonneschreck an Herz und Lunge

Und plötzlich jagt das losgelassne Blut
Durch alle Gassen, wie die Feuerreiter.
Der ganze Kerl ist eine helle Glut
Er sieht nichts mehr und tappt nur noch so weiter.

(Aus: Kritik des Herzens)

Liebesglut

Sie liebt mich nicht. Nun brennt mein Herz
ganz lichterloh vor Liebesschmerz,
vor Liebesschmerz gar lichterloh
als wie gedörrtes Haferstroh.

Und von dem Feuer steigt der Rauch
mir unaufhaltsam in das Aug',
dass ich vor Schmerz und vor Verdruss
viel tausend Tränen weinen muss.

Ah Gott! Nicht lang ertrag ich's mehr! -
Reicht mir doch Feuerkübel her!
Die füll ich bald mit Tränen an,
dass ich das Feuer löschen kann.

Seitdem du mich so stolz verschmäht,
härmt ich mich ab von früh bis spät,
sodass mein Herz bei Nacht und Tag
als wie auf heißen Kohlen lag.

Und war es dir nicht heiß genug,
das Herz, das ich im Busen trug,
so nimm es denn zu dieser Frist,
wenn dir's gebacken lieber ist!

(Ein Beitrag zu "Fliegende Blätter und Münchner Bilderbogen",
1859-1871)

Wenn ich dereinst ganz alt und schwach,
Und 's ist mal ein milder Sommertag,
So hink ich wohl aus dem kleinen Haus
Bis unter den Lindenbaum hinaus.
Da setz ich mich denn im Sonnenschein
Einsam und still auf die Bank von Stein,
Denk an vergangene Zeiten zurücke
Und schreibe mit meiner alten Krücke
Und mit der alten zitternden Hand

Wilhelm Busch

So vor mir in den Sand.

(Aus: Kritik des Herzens)

Ein Art Schreiben in Sand ist es auch, was Busch über die letzten Dinge zu sagen hat, das Eingeständnis gescheiterter Wahrheitssuche, verlorener Illusionen und Hoffnungen.

Beruhigt

Zwei mal zwei gleich vier ist Wahrheit.
Schade, daß sie leicht und leer ist,
Denn ich wollte lieber Klarheit
Über das, was voll und schwer ist.

Emsig sucht ich aufzufinden,
Was im tiefsten Grunde wurzelt,
Lief umher nach allen Winden
Und bin oft dabei gepurzelt.

Endlich baut ich eine Hütte.
Still nun zwischen ihren Wänden
Sitz ich in der Welten Mitte,
Unbekümmert um die Enden.

(Aus: Schein und Sein)

Woher, wohin?

Wo sich Ewigkeiten dehnen,
Hören die Gedanken auf,
Nur der Herzen frommes Sehnen
Ahnt, was ohne Zeitenlauf.

Wo wir waren, wo wir bleiben,
Sagt kein kluges Menschenwort;
Doch die Grübelgeister schreiben:
Bist du weg, so bleibe fort.

Lass dich nicht aufs neu gelüsten.
Was geschah, es wird geschehn.
Ewig an des Lebens Küsten
Wirst du scheiternd untergehn.

(Aus: Schein und Sein)

Unfrei

Ganz richtig, diese Welt ist nichtig.
Auch du, der in Person erscheint,
Bist ebenfalls nicht gar so wichtig,
Wie deine Eitelkeit vermeint.

Was hilft es dir, damit zu prahlen,
Daß du ein freies Menschenkind?
Mußt du nicht pünktlich Steuern zahlen,
Obwohl sie dir zuwider sind?

Wärst du vielleicht auch, sozusagen,
Erhaben über Gut und Schlecht,
Trotzdem behandelt dich dein Magen
Als ganz gemeinen Futterknecht.

Lang bleibst du überhaupt nicht munter.
Das Alter kommt und zieht dich krumm
Und stößt dich rücksichslos hinunter
Ins dunkle Sammelsurium.

Daselbst umfängt dich das Gewimmel
Der Unsichtbaren, wie zuerst,
Eh du erschienst, und nur der Himmel
Weiß, ob und wann du wiederkehrst.

(Aus: Schein und Sein)

Aus diesen Abgründen des Humoristen, der im Gedicht Humor (in Lustige GedichteLustige Gedichte) eine für ihn typische Definition seines Metiers gibt, reißt Ludwig ThomaLudwig Thoma in einem an Wilhelm Busch gerichteten Toast zwar empor:

Erst dreimal Hoch und dann ein Tusch
Dem hochverehrten Meister Busch!

Doch dem muss abschließend sein unvergleichbares Verslein folgen auf den

Nachruhm

Ob er gleich von hinnen schied,
Ist er doch geblieben,
Der so manches schöne Lied
Einst für uns geschrieben.

Unser Mund wird ihn entzückt
Lange noch erwähnen,
Und so lebt er hochbeglückt
Zwischen hohlen Zähnen.

(Aus: Zu guter Letzt)

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Lesenswert ist der Kommentar des humoristischen Nachfahren Robert Gernhardt zur Gesamtausgabe der Werke von Wilhelm Busch nebst Klärung der Frage, ob dieser Autor ein Antisemit war.
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