EpilogSchwalbenbuch-Version |
Vorbemerkung: Die zweite Auflage des Schwalbenbuchs enthielt einen Epilog, den wir hier nach dem Wortlaut der Auflage von 1927 veröffentlichen. Etwas ausführlicher werden die in diesem Text zum Teil nur angerissenen Ereignisse in Eine Jugend in Deutschland geschildert. Deshalb folgt diese Version zum Vergleich.
Einen Sommer lang lebten Schwalben in eines Gefangenen Zelle. Es war Gnade für ihn. Was sie ihm schenkten, davon suchte er zu stammeln. Der Festungsverwaltung gefiel nicht, was er schrieb. Sie befahl, dass der Gefangene seine Zelle, die dem Osten ihr vergittertes Fenster zukehrte, verlasse, und wies ihm fürsorglich und mit väterlichem Bedacht eine andere an, die von Norden ihr kümmerliches Licht empfing und keiner Schwalbe Heim werden konnte.
Im nächsten Frühling, im Monat April, kamen die Schwalben wieder. Kamen von irgendwo, aus Urwaldlandschaft und Sonnentraum, in das Geviert kahler, nordischer Zelle. Sie fanden einen neuen Insassen und waren bereit, auch diesem zu sein, was sie dem früheren gewesen.
Kam eines Tages das Buch ins Haus, das der erste geformt und über die Mauer, unerreichbar für die Fanghand der Wächter, geworfen hatte. Einige Stunden später polterten Aufseher in die Zelle, rissen „befehlsgemäß“ das fast vollendete Nest mit gleichgültig roher Gebärde herunter.
Wie erschraken die Schwalben, als sie ihre kleine Wohnung nicht mehr sahen! Mit ihren Schnäbeln zogen sie suchend den Halbkreis des Nestgrundes, flatterten ängstlich umher, lugten in alle Winkel der Zelle, fanden nichts.
Schon am nächsten Tag begannen sie wieder zu bauen.
Und wieder zerstörten die Wächter das Nest.
Der Gefangene, Maurer in einem bayerischen Dorf, schrieb am 18. Mai 1924 diesen Brief:
Herr Festungsvorstand!
Ich bitte den Herrn Festungsvorstand, den so schwer geprüften, geduldigen und überaus nützlichen und fleißigen Tierchen ihr so hart und schwer erkämpftes Nestchen belassen zu wollen. Ich erkläre, dass dieselben mich nicht im Geringsten stören und auch nichts beschädigen. Erwähnen möchte ich noch, dass in verschiedenen Gefängnissen Schwalbennester sich befinden und dieselben bei schwerer Strafe nicht zerstört werden dürfen.
Hochachtungsvoll
Rupert Enzinger aus Kolbermoor
Am 21. Mai gab der Festungsvorstand Hoffmann den lakonischen Bescheid: „Schwalben sollen im Stall bauen. Da ist Platz genug“.
Das Nest, das inzwischen sich rundete, verfiel dem Spruch. Dem Gefangenen aber wurde eine Zelle gen Norden gewiesen, die andere verschloss man.
Verwirrt, leidenschaftlich erregt, fingen die Schwalben gleichzeitig in drei Zellen zu bauen an. Halb waren die Nester geschichtet, doch Wächter entdeckten sie, und das Grausame geschah.
In sechs Zellen baute das Paar. Wer kann wissen, was sie trieb! Vielleicht Hoffnung, dass die Menschen ihnen ein Nest gewähren aus Einsicht und ein wenig Güte.
Die sechs Nester wurden weggefegt.
Ich weiß nicht, wievielmal Aufbau und Zerstörung einander folgten.
Sieben Wochen dauerte der Kampf schon, heldenhafter, ruhmreicher Kampf bayerischer Rechtsbeschützer wider den Geist tierischer Auflehnung. Ein paar Tage bauten die Schwalben nicht mehr, sie hatten verzichtet.
Leise sprach es sich von Gefangenem zu Gefangenem: „Sie haben im Waschraum zwischen den Abflussröhren eine Stelle gefunden, wo keiner sie entdecken kann, nicht der Späheblick des Wächters, der von draußen die Gitter abtastet, nicht der Späheblick des Wächters, der von drinnen Verbotenem nachspürt.“ Selten lebte reinere Freude im Zellengang. So waren die Schwalben doch Sieger geblieben im Kampf mit menschlicher Bosheit. Jeder Gefangene fühlte sich Sieger mit ihnen.
Doch die lauschenden Wächter … An einem Morgen starrte der Waschraum leblos und leer.
Nicht mehr bauten die Schwalben. Abends flogen sie in eine Zelle, nächtigten dort, eng aneinander geschmiegt, auf dem Leitungsdraht, flogen in der Frühe davon. Bald kam das Schwalbenmännchen allein. Die Schwälbin war gestorben, wohl weil die Menschen ihr wehrten, fruchtschwere Eier zu bergen.