Ernst Toller - Das Schwalbenbuch

Vorige Schwalbenbuchseite

Das Schwalbenbuch

Ich, ein Renegat der Menschheit

Nächste Schwalbenbuchseite

Der Schrei

 

Menschen wie arm Eure Feste!

Jazztänze schrill von verruchter Zeit!

Eure Lebensangst

Ankurbelt die Autos der Selbstflucht,

Illuminiert

Die Seele

Mit Lampions elektrischer Gier

Und wähnt:

Sie sei geborgen.

 

Aber sie ist nicht geborgen

 

All Euer Lärm, Euer Gekreisch, Euer Gekrächz,

Euer Freudeplakatieren, Lustigsindwir:

Hahaha -

Übertönt nicht

Das leise kratzende

Nagen

Die drei heimlichen Ratten

Leere Furcht Verlassenheit

 

Aber schon schaue ich Dich,

Gewandelte Jugend der Revolution.

 

Deine Tat: Zeugung.

Deine Stille: Empfängnis.

Dein Fest: Geburt.

 

Opfernd

Im todnahen Kampfe heroischer Fahne,

Schreitend

Im reifenden Felde träumenden Frühlings,

Jauchzend

Im bindenden Tanze gelöster Leiber,

Ahnend

Im magischen Schweigen gestirnter Nacht.

 

Schon schaue ich Dich,

Gewandelte Jugend der Revolution.

 

 

Nach oben

 

 

Ihr meine brüderlichen, Ihr meine tapferen Schwalben!

Auf dem Hofe steh ich.

In morgendlichen Lüften segelt, spreitend die mächtigen Flügel mit Würde, ein Sperber.

Ich höre gelle Schreie spielender Schwalben.

Von allen Seiten antworten Rufe.

Scharen von Schwalben fliegen herbei.

Wer gab das Angriffssignal?

In gepfeilter Wucht stürzen sie auf den königlichen Vogel,

Der in seinen Fängen einen jungen Sperling krallt.

Ihr meine brüderlichen, Ihr meine tapferen Schwalben!

Doch welch ungleicher Kampf!

Gelassen, mit bewegterem Flügelschlag, wehrt der Angegriffene.

Kaum achtet er der winzigen Verfolger.

Armer Sperling!

Immer wieder greifen die Schwalben den Räuber an.

Bedrängen ihn mit feuriger Leidenschaft.

Schon werden seine Flügelschläge hastiger, unbeherrschter ...

Die Schwachen haben den Starken besiegt!!

Zornigen Schreis, bezwungen von verbündeter Kraft, öffnet

der Sperber die kerkernden Fänge.

Zitternd entflattert der betäubte Spatz.

In seligen Flügen feiern die Schwalben den Sieg der

Gemeinschaft.

 

 

Nach oben

 

 

Tiere

 

Wann endlich, Tiere, bündet Ihr Euch

Zum Bunde wider die Menschheit?

Ich, ein Mensch,

Rufe Euch auf!

Euch Nachtigallen, geblendet mit glühender Nadel,

Euch Hammel, gewürgt in Kasematten vergaster

Übungsschiffe,

Euch Esel, sanfteste Tiere, zusammenbrechend unter

Peitschenhieben,

Euch Strauße, zuckenden Atems gerupft und fühlenden

Herzens,

Euch Pferde, sonnenlos werkend in verpesteten Schächten,

Euch Bären, dressiert auf glühender Eisenmatte,

Euch Löwen, gezähmt im Zirkus von stählerner Knute,

Euch Alle Euch Alle

Rufe ich auf!

Erwachet!

Rächen wollen wir

Die Opfer des Menschen:

Tiere für Gaumenkitzel atmend gefoltert,

Tiere für Modelaunen lachend geschunden,

Tiere berauschten Arenen eitel geopfert,

Tiere in Kriegen sinnlos zerfetzt ...

 

Ich will mich an Eure Spitze stellen,

Ich, ein Renegat* der Menschheit,

Will Euch führen gegen den einen Feind

Mensch.

 

Tiere der Wüste: Brüllet Alarm!

Tiere des Dschungels: Heulet Sturm!

 

Keine Unterscheidung lassen wir gelten.

Weiße und Schwarze, Gelbe und Braune,

Alle alle Erdschänder! Muttermörder! Sternenräuber!

Vorige Schwalbenbuchseite Nach oben Nächste Schwalbenbuchseite

 

Lyrik-Lesezeichen