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Georg TraklGeorg TraklGeorg Trakl

Musik im Mirabell

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

Webtipps Trakl

Klänge, Farben, Bilder vor der Kulisse des Salzburger Schlossparks Mirabell - Trakl zu lauschen ist allein schon ein sinnlicher Genuss. Weil es sonst nichts Umfassendes zu ihm im Web gibt und ich diesen einzigartigen Lyriker, Sprachmusiker und Visionär schlicht liebe, habe ich für ihn Werschs Trakl-Seiten gestaltet.

Seele des Lebens

Verfall, der weich das Laub umdüstert,
Es wohnt im Wald sein weites Schweigen.
Bald scheint ein Dorf sich geisterhaft zu neigen.
Der Schwester Mund in schwarzen Zweigen flüstert.

Der Einsame wird bald entgleiten,
Vielleicht ein Hirt auf dunklen Pfaden.
Ein Tier tritt leise aus den Baumarkaden,
Indes die Lider sich vor Gottheit weiten.

Der blaue Fluß rinnt schön hinunter,
Gewölke sich am Abend zeigen;
Die Seele auch in engelhaftem Schweigen.
Vergängliche Gebilde gehen unter.

Dieser Schlussvers ist eine Quintessenz nicht nur für die 'Seele' von Georg Trakls Leben, sondern für das Lebensgefühl vor dem 1. Weltkrieg überhaupt. Die Vorahnung von Verfall und Untergang prägten das österreichischen Kaiserreich schon, als Georg am 3.2.1887 in Salzburg geboren wurde. Den Trakls ging es zunächst allerdings hervorragend, er war das fünfte von insgesamt sieben Kindern des zu Wohlstand und Ansehen gekommenen Eisenwarenhändlers Tobias Trakl. Seine Gattin Elisabeth beförderte zwar die musische Ausbildung der Kinder (alle erlernten zumindest Klavier), zog sich indes oft in ihre Sammlungen von Kunstgegenständen zurück.
Viel von Atmosphäre und Erinnerungen an seine Kindheit hat Trakl eingewoben in den folgenden 1. Teil von

Sebastian im Traum

Mutter trug das Kindlein im weißen Mond,
Im Schatten des Nußbaums, uralten Hollunders,
Trunken vom Safte des Mohns, der Klage der Drossel;
Und stille
Neigte in Mitleid sich über jene ein bärtiges Antlitz

Leise im Dunkel des Fensters; und altes Hausgerät
Der Väter
Lag im Verfall; Liebe und herbstliche Träumerei.

Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,
Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg,
Ruh und Antlitz;
Da er steinern sich vor rasende Rappen warf,
In grauer Nacht sein Stern über ihn kam;

Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter
Abends über Sankt Peters herbstlichen Friedhof ging,
Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag
Und jener die kalten Lider über ihn aufhob.

Er aber war ein kleiner Vogel im kahlen Geist,
Die Glocke lang im Abendnovember,
Des Vaters Stille, da er im Schlaf die dämmernde Wendeltreppe hinabstieg.

"Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden" (aus dem Gedicht "Frühling der Seele"): Diese Urempfidung hatte schon das eigentlich wohlbehütete Kind Georg, das die Menschen als kalt und metallisch empfand, sich nach Todesruhe zu sehnen begann. Zu identifizieren ist auch der ungewöhnliche Platz, wo der Knabe an frierender Hand ging und über den er ein eigenes Gedicht schrieb:

St.-Peters-Friedhof

Ringsum ist Felseneinsamkeit.
Des Todes bleiche Blumen schauern
Auf Gräbern, die im Dunkel trauern -
Doch diese Trauer hat kein Leid.

Der Himmel lächelt still herab
In diesen traumverschlossenen Garten,
Wo stille Pilger seiner warten.
Es wacht das Kreuz auf jedem Grab.

Die Kirche ragt wie ein Gebet
Vor einem Bilde ewiger Gnaden,
Manch Licht brennt unter den Arkaden,
Das stumm für arme Seelen fleht -

Indes die Bäume blüh'n zur Nacht,
Daß sich des Todes Antlitz hülle
In ihrer Schönheit schimmernde Fülle,
Die Tote tiefer träumen macht.

 

Auf der grauen Wandtafel
ganz rechts ist dieses
Gedicht zu lesen.
Foto: Werscheidi, Salzburg 2004.

Nach aufgrund mangelhafter Leistungen abgebrochenem Gymnasium absolvierte der schon dichtende Jüngling eine Apothekerlehre. Damit war eine Tätigkeit gefunden, die für eine großbürgerliche Familie noch standesgemäß schien und die Möglichkeit eines Studiums auch ohne Matura eröffnete. Doch ebenso beförderte dies die Suchtkrankheiten, die ihn bis zu seinem Ende bestimmten, und auch Freunde und Bewunderer aus der provinziellen Boheme konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass er Liebe und Geborgenheit zeitlebens nur mit einem Menschen finden sollte: seiner vier Jahre jüngeren Schwester Margarethe, meist Gretl genannt.

An die Schwester

Wo du gehst wird Herbst und Abend,
Blaues Wild, das unter Bäumen tönt,
Einsamer Weiher am Abend.

Leise der Flug der Vögel tönt,
Die Schwermut über deinen Augenbogen.
Dein schmales Lächeln tönt.

Gott hat deine Lider verbogen.
Sterne suchen nachts, Karfreitagskind,
Deinen Stirnenbogen.

Margarethe Trakl, 1912 oder später.

Gretl wurde so Ausgangspunkt der zur am Ende alles überragenden, schier mythischen Gestalt der Schwester im späteren reifen Werk und bleibt dieser stets immanent. Im realen Leben war diese Schwester-Bruder-Beziehung ein möglichst geheim gehaltener Skandal, der die Familie sogar noch nach dem Tod der Beiden veranlasste, deren Briefwechsel wahrscheinlich zu vernichten, während ein zehrendes Schuldbewusstsein Georgs ganzes Leben noch mehr eintrübte. Ein Leben, in symbiotischer Ergänzung mit Gretl als der eher treibenden, zügellosen Kraft, das für Beide von kleinauf unlebbar war, nur in Kunst, Phantasie und Abgeschiedenheit wirklich werden konnte, durch Drogen und Ästhetisierung des allem innewohnenden Verfalls und Ruins eine Weile erträglich wurde, so dass Verse wie die folgenden episodisch bleiben mussten:

Im Frühling

Leise sank von dunklen Schritten der Schnee,
Im Schatten des Baums
Heben die rosigen Lider Liebende.

Immer folgt den dunklen Rufen der Schiffer
Stern und Nacht;
Und die Ruder schlagen leise im Takt.

Balde an verfallener Mauer blühen
Die Veilchen,
Ergrünt so stille die Schläfe des Einsamen.

Gemeinsam begannen die Beiden 1908 in Wien zu studieren, die hochbegabte Gretl Klavier an der Musikakademie, Georg Pharmazie an der Universität; sie wohnten getrennt. Der Kontrast, vom ländlich-beschaulichen Salzburg in eine der damals fünf größten Städte der Welt zu leben, wirkte wie ein Schock:

An die Verstummten

O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken.

Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt.
Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne des Besessenen,
Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht.
O, das gräßliche Lachen des Golds.

Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit,
Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.

Trakl teilt hier in den beiden Schlusszeilen noch die verbreitete Hoffnung seiner Epoche, ein heftiger Einschnitt wie ein Krieg könne zur Befreiung aus einer als bleiern und sinnentleert empfundenen Gegenwart verhelfen. Sicher auch darum ist er dann, ob bereitwillig oder fatalistisch, ohne erkennbare Widerstände in den Krieg gezogen, ebenso um einer gesellschaftlich wie wirtschaftlich unhaltbaren Lage zu entfliehen.
In der befand er sich seit 1910, dem Wendejahr seiner Existenz. Gretl verließ Wien, um ihre pianistischen Studien in Berlin fortzusetzen, Georg schloss sein Pharmaziestudium erfolgreich ab, um einen einjährigen militärischen Pflichtdienst anzutreten. Der Tod des Vaters in diesem Jahr offenbarte ein finanzielles Desaster der Eisenwarenfirma (sie wurde 2 Jahre darauf liquidiert), was Georg fortan in Geldnöte stürzte.
In diesem Jahr erreichte er aber, nach meist epigonalen Jugendwerken, dichterisch die Reife und Sprachgebung, die ihn in Ton, Wohllaut und Aussage unvergleichlich sein lässt.

Heiterer Frühling

(Teil 3)

Wie scheint doch alles Werdende so krank!
Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist;
Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist
Und öffnet das Gemüte weit und bang.

Ein blühender Erguß verrinnt sehr sacht
Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh.
Die Liebenden blühn ihren Sternen zu
Und süßer fließt ihr Odem durch die Nacht.

So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt;
Und leise rührt dich an ein alter Stein:
Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein.
O Mund! der durch die Silberweide bebt.

Nach dem Militärdienst musste sich Georg 1911 zunehmend verzweifelt um Anstellungen bemühen, doch ob in seiner Salzburger Ausbildungsstätte oder einer Apotheke in Innsbruck, in einem Wiener Ministerium oder beim Militär: Er erwies sich als unfähig. Seine Dichtung hingegen fand Anklang, vor allem durch den Einsatz seines Jugendfreundes Erhard Buschbeck befördert. Als Sprungbrett erwies sich die Veröffentlichung seiner Gedichte ab 1912 in der Innsbrucker Zeitschrift "Der Brenner", in der avantgardistische Literaten um Ludwig von Ficker ein überregional stark beachtetes Forum besaßen. Ficker nahm sich Trakls als Mentor an, es entstanden Kontakte zu bekannten Künstlern wie dem Schriftsteller und Publizisten Karl Kraus oder dem Maler Oskar Kokoschka. Weiterhin entschloss sich das Organ der progressiven und expressionistischen Literatur, der Kurt Wolff Verlag in Leipzig, Trakl zu veröffentlichen: 1913 erschien der Band "Gedichte", 1915 "Sebastian im Traum", noch von Trakl zusammengestellt. Als Schriftsteller schien Georg auf dem Sprungbrett, im deutschen Sprachraum als große lyrische Begabung Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Ausdruck für die väterliche Freundschaft, mit der Ficker Trakl bei sich aufnahm, ist das folgende ihm gewidmete Gedicht, das auf einer gemeinsamen Kurzreise nach Vendig im Sommer 1913 entstand:

Gesang einer gefangenen Amsel

Dunkler Odem im grünen Gezweig.
Blaue Blümchen umschweben das Antlitz
Des Einsamen, den goldnen Schritt
Ersterbend unter dem Ölbaum.
Aufflattert mit trunkenem Flügel die Nacht.
So leise blutet Demut,
Tau, der langsam tropft vom blühenden Dorn.
Strahlender Arme Erbarmen
Umfängt ein brechendes Herz.

Gretl hatte in Berlin 1912 zwar den über 30 Jahre älteren Arthur Langen geheiratet, der als Buchhändler und Dramaturg umtriebig war und auch Kontakt zu ambitionierten Literaten hatte. Doch die Beziehung bestand nicht lange, weder persönlich noch beruflich konnte sie Fuß fassen. Georg besuchte sie im Frühjahr 1914, als sie nach einer Abtreibung schwer erkrankt war.
Es war die letzte Begegnung, denn ab August rückte Georg als Medikamentenakzessist (Sanitäter und Apotheker mit niederem Offiziersrang) in die Armee ein und wurde in Galizien stationiert.
Dass sich Trakl vom Krieg allerdings Heldentum, heroische Selbstbestätigung oder auch nur Läuterung erwartet hätte, widerlegt ein ca. 2 Jahre zuvor entstandenes Gedicht, dessen visionäre Kraft sogar über den 1. Weltkrieg hinaus reicht:

Menschheit

Menschheit vor Feuerschlünden aufgestellt,
Ein Trommelwirbel, dunkler Krieger Stirnen,
Schritte durch Blutnebel; schwarzes Eisen schellt,
Verzweiflung, Nacht in traurigen Gehirnen:
Hier Evas Schatten, Jagd und rotes Geld.
Gewölk, das Licht durchbricht, das Abendmahl.
Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen
Und jene sind versammelt zwölf an Zahl.
Nachts schrein im Schlaf sie unter Ölbaumzweigen;
Sankt Thomas taucht die Hand ins Wundenmal.

Die hier in den letzten Versen aufsteigende Hoffnung, die Menschheit ihre Apokalypse als Opfer für religiöse Erlösung sanktionieren, zerschlug sich für Trakl dann allerdings bei der eigenen Erfahrung des Krieges. Sein Regiment wird im September in der Schlacht bei Grodek eingesetzt, er muss völlig auf sich allein gestellt 90 Schwerverletzte in einer Scheune versorgen. Der Anblick erhängter Partisanen vor deren Tor lässt ihn kollabieren, Kameraden verhindern mit Mühe, dass er sich erschießt. Bald darauf wird Trakl in das Garnisonsspital in Krakau eingewiesen, um seinen Geisteszustand zu beobachten. Dort besuchte ihn Ludwig von Ficker am 24./25. Oktober und nahm unter seinen letzten Gedichten auch das Folgende entgegen - Georg starb eine Woche später an einer Überdosis Kokain.

Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

Religiöse Hoffnungen sind ebenso gewichen wie die weichen Mollklänge, welche die vorherige Lyrik trotz aller verstörenden Bilder und Fügungen durchflossen hatte. Geblieben sind pathetische, schroffe Klagen und - der Schatten der Schwester wie ein letzter Trost.
Um die "ungeborenen Enkel" in ihrem persönlichen Aspekt für Trakl nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf den Schluss von "Traum und Umnachtung" nötig, einer lyrischen Kurprosa, die noch vor Kriegsausbruch entstanden ist und in der Georg sein familiäres Schicksal in eine surreal-hermetische Traumwelt bannt:

Purpurne Wolke umwölkte sein Haupt, daß er schweigend über sein eigenes Blut und Bildnis herfiel, ein mondenes Antlitz; steinern ins Leere hinsank, da in zerbrochenem Spiegel, ein sterbender Jüngling, die Schwester erschien, die Nacht das verfluchte Geschlecht verschlang.

 

Gretl scheiterte in den nächsten Jahren in allem: der Karriere als Pianistin, Ehe sowie Entzugsbehandlungen. Auch der Beistand Fickers verhinderte nicht, dass sie sich im September 1917 in Berlin während einer Party erschoss.
Fatum, ja Identifikation scheinen Schwester und Bruder unlöslich verbunden zu haben. Trakl mutet der Sprache schier einen Gewaltakt zu um dies zu schärfstem Ausdruck zu bringen. Im Gedicht "Ruh und Schweigen" hieß es noch:

Ein strahlender Jüngling
Erscheint die Schwester in Herbst und schwarzer Verwesung.

Welch weitere Steigerung der Bezogen und Verschmolzenheit am Ende der eben zitierten Prosa!
Und wie um deren letzten Satz, die "ungeborenen Enkel" und Georgs Visionenen in aller Radikalität zu erfüllen: Keines seiner sechs Geschwister hatte Nachkommen, die Trakls sind ausgestorben.

 


Gretl und Georg, Scherenschnitte 1910 im Winer Prater nach dem Leben gefertigt.
Bildbearbeitung: Wersch.

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