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Johann Wolfgang von Goethe

war gut, da sind sich fast alle einig, vom Gassenhauer bis zum Germanisten. Selbst der sonst notorisch mokante und kritische Nietzsche bescheinigte:

Goethe, nicht nur ein guter und großer Mensch,
sondern eine Kultur [...]

(in: Menschliches, Allzumenschliches)

In jedem Fall prägte er eine kulturelle Epoche, war und tat er sehr vieles, nicht nur dichten und reimen. Auf seine Gedichte, mit und ohne Reim, wollen wir uns hier hinsichtlich eines speziellen Aspektes konzentrieren. Goethe war ein Augenmensch, hielt sich selbst bis zur Mitte sein Lebens gar eher für einen gebornen Maler denn einen Dichter. Eine aparte Perspektive auf seine an Formen und Inhalten unvergleichlich reiche Lyrik ist daher, wie er mit der Nacht umgeht.

Gesang der Elfen

Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Dann scheinet uns der Mond,
Dann leuchtet uns der Stern;
Wir wandlen und singen
Und tanzen erst gern.

Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Auf Wiesen an den Erlen
Wir suchen unsern Raum
Und wandlen und singen
Und tanzen einen Traum.

Solch ein Gedicht mit einer von Zauberwesen erfüllten Nacht würde man eher von einem Romantiker als Goethe erwarten. Doch schrieb er dies bereits 1780, also mehr als zehn Jahre, bevor die romantische Bewegung einsetzte. Im selben Jahr entstanden seine beiden Kurzgedichte mit identischem Titel, von denen vor allem das Zweite zu seinen berühmtesten Versen überhaupt gehört:

Wandrers Nachtlied (1)

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!

Wandrers Nachtlied (2)

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde,
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Friede und Ruhe sind die entscheidenden Begriffe, welche die mit der Nacht verbundenen Empfindungen tragen. Auch die zwar behutsame, aber deutliche Assoziation mit dem Tod vermag dies nicht zu stören. Natürlich kann die Nacht in Goethe-Versen auch bedrohlich und gefährlich sein, wofür seine wohl bekannteste Ballade Erlkönig (in BalladenBalladen) einsteht. Doch bleibt dies eine Ausnahme.
Für den Augenmenschen, dessen letzte Worte "Mehr Licht!" gewesen sein sollen, müssen die bereits offenbar gewordenen Eindrücke von Frieden und Bezauberung vor allem mit den optischen Eindrücken einhergehen, welche die Nacht zu bieten hat. Dies erklingt in dem späten Gedicht aus dem kurzen Zyklus Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten, wo zunächst "holden Lichts der Abendstern" erscheint, und dann in An Luna. Dass der Mond in beiden Texten weiblich erlebt und angesprochen wird, ist bezeichnend für die von antiker Mythologie, romanischen Sprachen und Erotik geprägte Anschauung des Nachtgestirns durch Goethe.

Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!
Alles schwankt ins Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh';
Schwarzvertiefte Finsternisse
Widerspiegelnd ruht der See.

Nun im östlichen Bereiche
Ahn' ich Mondenglanz und -glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Lunas Zauberschein,
Und durchs Auge schleicht die Kühle
Sänftigend ins Herz hinein.

An Luna

Schwester von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer,
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht.
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus tagverschloßnen Höhlen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich, und nächt'ge Vögel auf.

Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite.
Hebe mich an deine Seite,
Gib der Schwärmerei dies Glück!
Und in wollustvoller Ruh
Säh' der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter
Seines Mädchens Nächten zu.

Des Beschauens holdes Glück
Mildert solcher Ferne Qualen,
Und ich sammle deine Strahlen,
Und ich schärfe meinen Blick.
Hell und heller wird es schon
Um die unverhüllten Glieder,
Und nun zieht sie mich hernieder,
Wie dich einst Endymion.

Der als "erstes Licht" eingangs genannte Bruder ist der Sonnengott, Endymion am Ende ein Geliebter der Luna.
Zwei weitere Gedichte handeln vom Mond, zunächst ein ebenfalls berühmtes, das ihn direkt wie einen Freund anspricht. Dabei strahlt es trotz der Konfrontation mit Qual und den Abgründen des nächtlich Unbewussten eine tiefe Harmonie aus. Ähnliches evoziert der folgende an den Vollmond gerichtete Text, der wieder eher in die erotische Sphäre lenkt und gar in "Überseligkeit" gipfelt.

An den Mond

Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh' und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluss!
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuss,
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!

Rausche, Fluss, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hass verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewusst
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.

Dem aufgehenden Vollmonde

Willst du mich sogleich verlassen?
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolkenmassen,
Und nun bist du gar nicht da.

Doch du fühlst, wie ich betrübt bin,
Blickt dein Rand herauf als Stern!
Zeugest mir, daß ich geliebt bin,
Sei das Liebchen noch so fern.

So hinan denn! hell und heller,
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller,
Überselig ist die Nacht.

Damit sind wir schlussendlich bei Goethes wohl liebstem Nachtelixier gelandet. Heiter und geistreich beschreibt er eine Liebesnacht in seiner fünften Römische Elegie (in BalladenLiebesgedichte). Voll zärtlich-inniger Sangbarkeit ist hingegen das hier folgende Lied, während Willkommen und Abschied die leidenschaftlich-wilde Variante des dunkel-geborgenen Liebeslebens auf damals ganz unerhörte Weise in Verse setzt. Wohl dem, der seine Nächte derart füllen und in Poesie gießen kann!

Nähe des Geliebten

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Wege
Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten die Sterne.
O wärst du da!

Willkommen und Abschied

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht;
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht:
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer;
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

 

Webtipps Goethe Goethe im Internet

Bisher scheint das Web noch zu jung, um eine umfassende Seite zu Goethes Riesenwerk und seiner Wirkung hervorbringen zu können. Zu lesen sind die wichtigsten seiner Schriften beim Projekt Gutenberg; di-lemmata bringt eine fundierte Edition seiner Lyrik mit Wortlisten und Konkordanzen. In zwei Zeitleisten kann man sich beim Goethezeitportal über seine Lebensstationen und Werke sowie seine Epoche orientieren. Zu Speziellem und für Einzelthemen kann die Linkliste der FU Berlin weiterhelfen.

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