Kurt Tucholsky wird am 9.1.1890 in Berlin geboren und scheidet am 21.12.1935 in Göteborg freiwillig aus dem Leben. Dazwischen liegt eine Zeit des Kampfes, des Ruhms, der Depression, der Krankheit und - die tragische Liebe zu Mary Gerold.
Den Ersten Weltkrieg verbringt Kurt Tucholsky in der Etappe. Morden und ermordet werden ist seine Sache nicht. Seine Eroberungswünsche beschränken sich aufs andere Geschlecht. Dabei trifft er im November 1917 in Autz auf hartnäckigen Widerstand.
Gibst du dich keinem -? Bist du nur blond und kühl?
Demütigt dich ein starkes, heißes Gefühl?
Wir sind allein. -
Jeder ist so vom andern durch Weiten getrennt,
dass er nicht weiß, wo es lodert und flammt und brennt -
Wir sind allein. -
Selten nur springt ein Funke von Blut zu Blut,
bringt zur Entfaltung, was sonst in der Stille ruht -
Wir sind allein. -
Aber einmal - kann es auch anders sein -
Einmal gib dich, - und, siehst du, dann wird aus zwein:
Wir beide -
Und keiner ist mehr allein. -
Was als leichte Eroberung einer 18-jährigen Dienstverpflichteten aus
Riga gedacht war, entpuppt sich als langwierige Affäre. Nach monatelangen
Bemühungen kommt es immerhin zum Austausch von Ringen:
Ring einer Frau, du funkelst an meiner Hand,
grüßt du herüber von ihr, aus dem weiten Land?
Zauberring, ich drehe dich nur ein Mal -
und da steht deine Herrin vor mir im Saal.
Zauberring, ich trage dich Nacht und Tag,
und wir lauschen auf jeden langsamen Glockenschlag.
Was ich las und lebte und sah und litt,
alles liest und erlebst und siehst du mit.
Peitscht der Hagel und pfeifen die Winde ums Haus,
gab ich hochatmend das letzte der Kräfte aus,
fühl ich nur deinen kantig geschliffenen Stein,
und du läßt mich ruhig und ganz geborgen sein.
Einmal aber geb ich dich ihr zurück.
Was ist dann? Eine Ehe? Ein blondes Glück?
Du bist da und das, was ich nie verlor.
Tiefer glüht dein Rot, hell blitzt dein Gold empor.
Tucholsky wird nach Rumänien versetzt und setzt sein Werben per Brief
fort. Die Entfernung tut seiner Liebe keinen Abbruch, im Gegenteil: Je weiter
weg, desto größer die Liebe. Doch ist es wirklich die Liebe zum
Menschen Mary Gerold, die Tucholsky antreibt?
Erst wollte ich mich dir in Keuschheit nahn.
Die Kette schmolz.
Ich bin doch schließlich, schließlich auch ein Mann,
und nicht von Holz.
Der Mai ist da. Der Vogel Pirol pfeift.
Es geht was um.
Und wer sich dies und wer sich das verkneift,
der ist schön dumm.
Denn mit der Seelenfreundschaft - liebste Frau,
hier dies Gedicht
zeigt mir und Ihnen treffend und genau:
es geht ja nicht.
Es geht nicht, wenn die linde Luft weht und
die Amsel singt -
wir brauchen alle einen roten Mund,
der uns beschwingt.
Wir brauchen alle etwas, das das Blut
rasch vorwärtstreibt -
es dichtet sich doch noch einmal so gut,
wenn man beweibt.
Doch heller noch tönt meiner Leier Klang,
wenn du versagst,
was ich entbehrte öde Jahre lang -
wenn du nicht magst.
So süß ist keine Liebesmelodie,
so frisch kein Bad,
so freundlich keine kleine Brust wie die,
die man nicht hat.
Die Wirklichkeit hat es noch nie gekonnt,
weil sie nichts hält.
Und strahlend überschleiert mir dein Blond
die ganze Welt.
Aus der Entfernung wird Mary Gerold für Kurt Tucholsky ein Idol. In
seinen Briefen schildert er sie als Geliebte, Gefährtin und Mutter
zugleich. Als sie sich Anfang 1920 in Berlin wiederbegegnen, bröckelt
dieses Bild zuerst langsam:
Ich denk an früher. Wie Lavendelduft,
ein wenig blass, ein wenig wie verschollen,
steigt ein Parfumchen auf von jenen ollen
und weggelegten Sachen - eine Gruft?
"Und leise spricht - wie waren wir doch jung -
der Leierkasten der Erinnerung."
Ich denk an früher. Raschelnd schwankt der Kranz.
Wie war sie weiß! Wie spielten ihre Hände!
Wie war sie zart! Warum war es zu Ende?
Und langsam bildet sich ein matter Glanz ...
Aus jenen Tagen, längst verglüht und fahl,
steht auf ein neues Bild: das Ideal!
Ich denk an früher. War sie denn so schön?
Mit jedem Monat wird sie voller, reicher -
und zierlicher, noch rassiger, noch weicher -
brandrot die Lippen, und ein Blick, amön ...
Und sie entwickelt sich, und vor mir steht
Ein Zauberding von seltner Qualität:
Ich denk an früher. - War sie wirklich so?
Wie wärs gefährlich, wenn sie heut erschiene -!
Vielleicht ists eine Fee nur, der ich diene?
Nur Königin im Lande Nirgendwo?
Nun ist sie da --.
Und spricht. Mein Herzblut schäumt.
Und mehr als alles, was ich je geträumt. -
Auf diesen alten Büttenbogen,
so alt, dass ihn vielleicht, was weiß ich,
schon 1839
Großmama hat hervorgezogen,
schrieb ich für eine, dies Gedicht.
(Sonst hab ich keinen Bogen nicht.)
Doch schon innerhalb weniger Wochen muss Kurt Tucholsky feststellen, dass
es eine "Glaswand" zwischen ihm und Mary Gerold gibt. Man ist
sich fremd geworden und findet keinen Weg zueinander. So trennen sich ihre
Wege. Tucholsky heiratet im Mai 1920 die Ärztin Else Weil.
Dass man nicht alle haben kann -!
Wie gerne möcht ich Ernestinen
als Schemel ihrer Lüste dienen!
Und warum macht mir Magdalene,
wenn ich sie frage, eine Szene?
Von jener Lotte ganz zu schweigen -
ich tät mich ihr als Halbgott zeigen.
Doch bin ich schließlich 1 Stück Mann ...
Dass man nicht alle haben kann -!
Gewiss: das Spiel ist etwas alt.
Ich weiß, dass zwischen Spree und Elbe
das Dramolet ja stets dasselbe,
doch denk ich alle, alle Male:
entfern ich diesmal nur die Schale –
was wird sich deinen Blicken zeigen?
Was ist, wenn diese Lippen schweigen?
Nur diesmal greifts mich mit Gewalt ...
(Gewiss: das Spiel ist etwas alt.)
Dass man nicht alle haben kann -!
Das lässt sich zeitlich auch nicht machen ...
Ich weiß, jetzt wirst du wieder lachen!
Ich komm doch stets nach den Exzessen
zu dir und kann dich nicht vergessen.
So gib mir denn nach langem Wandern
die Summe aller jener andern.
Sei du die Welt für einen Mann ...
weil er nicht alle haben kann.
Die Trennung hat nicht lang Bestand. Bereits im September 1920 laufen sich
Kurt Tucholsky und Mary Gerold zufällig in Berlin über den Weg.
Von da ab reißt der Kontakt nicht mehr ab. Die Ehe mit Else Weil bietet
Tucholsky nicht das, was er sucht.
Ich konnte kaum die Nacht erwarten,
nun war sie da.
Eintrat ich in den Liebesgarten -
und bin dir nah.
Die Skala der Gefühle spielen wir:
ein Duett.
Du exzellierst in allen Stilen -
adrett ... kokett ...
Scham. Abwehr. Weichen. Überfließen.
Ermattung. Schlaf.
Wie wir uns lose treiben ließen ...
Du schlummerst brav.
Der Morgen graut. Da rutscht die Zeitung
leis durch den Spalt,
Die böse Mittlerin, die Leitung -
Das Schlagwort knallt.
Im Dämmern les ich eine Zeile:
"Herr Müller spricht."
Hart tickt die Uhr in dummer Eile.
Wir bleiben nicht.
Wir treiben fort. In das Gerinsel
blick ich zurück.
Du gabst auf einer kleinen Insel
ein kleines Stundenglück.
Ende 1922 ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Tucholsky und Mary Gerold
ganz offiziell den Lebensweg gemeinsam beschreiten.
1918. –
1920. –
1923?
Ich blättre so in diesen Seiten
und seh vor mir ein blondes Haar.
Vor meinen Augen laß ich weiten
ein neues Jahr.
Auf allen Blättern eine Frage.
Ich seh der Wochen lange Reihn ...
Ich könnt an jedem dieser Tage
einst glücklich sein.
Es dauert dann aber doch über ein Jahr bis Tucholskys Ehe im Februar
1924 geschieden wird. Da er sich im gleichen Jahr auch beruflich verändert
- Tucholsky wird Korrespondent in Paris - findet die Trauung mit Mary Gerold
erst im August 1924 statt.
Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit -
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück -
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt ...
pick-pack ...
"Sie schläft mit ihm" ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück -
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich dein Gefährte sein.
Obwohl Kurt Tucholsky bis an sein Lebensende immer wieder betont, dass Mary
seine einzige große Liebe ist: Auch diese Ehe funktioniert nicht lange.
Über eine wochenlange gemeinsame Reise durch die Pyrenäen 1925
veröffentlicht Tucholsky ein Buch. Seine Frau wird nicht einziges Mal
erwähnt. In den Folgejahren ist er viel unterwegs, meist ohne Mary.
Einmal müssen zwei auseinandergehn;
einmal will einer den andern nicht mehr verstehn - -
einmal gabelt sich jeder Weg - und jeder geht allein -
wer ist daran schuld?
Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.
Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.
Jeder trägt den andern mit sich herum -
etwas bleibt immer zurück.
Einmal hat es euch zusammengespült,
ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen, und dann erkühlt -
Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab -:
ein neuer Mensch.
Jeder geht seinem Schicksal zu.
Leben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du.
Jeder sucht seine Zukunft. Und geht mit stockendem Fuß,
vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und Gruß
in ein fernes Land.
Zur Trennung kommt es Ende 1928. Mary Gerold bleibt in Berlin, Kurt Tucholsky
zieht es in den Norden nach Schweden. Letztendlich geschieden wird die Ehe
erst 1933 und auch dann nur, weil Tucholsky um die Sicherheit Marys fürchtet
im inzwischen nationalsozialistischen Deutschland.
Kurz vor seinem Tod schreibt Kurt Tucholsky an Mary Gerold einen Abschiedsbrief: "Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt." Er nimmt alle Schuld für die gescheiterte Beziehung auf sich und beteuert, dass er nur ein Mal wirklich geliebt hätte. In seinem Testament setzt Tucholsky Mary Gerold als Alleinerbin ein.
Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? vielleicht dein Lebensglück ...
vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
Du musst auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
Die größte Sammlung an Gedichten und Prosatexten von Kurt Tucholsky bietet textlog. Biographisches findet sich auf der Website der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule in Minden. Und schließlich gibt es eine Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, die sich dem Andenken Tucholskys widmet.
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