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AbschiedsgedichteAbschiedsgedichte

Diese kleine Sammlung ist einem Themenbereich gewidmet, für den die Dichter oft ihre eindrücklichsten Worte gefunden haben, nämlich Abschied, Alter und Vergänglichkeit. Wer Abschiede von Liebe und Leidenschaft sucht, schaue sichTrennungsgedichteTrennungsgedichte an; Verluste und Tod kommen in TrauergedichteTrauergedichte zur lyrischen Sprache.

Mit drei so sehr melodisch-wehmütigen Gedichten soll hier der Abschied begrüßt sein, dass er schon fast wieder schön, der Schmerz ein süßer scheint. Rainer Maria RIlkeRilke sinnt ihm mit seiner typischen Sensitivität ganz allgemein nach, während Ball einen persönlichen Abschied, Joseph von EichendorffEichendorff hingegen den von der vertrauten Naturlandschaft zum Klingen bringt.

Abschied

Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes -, schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)

Abschied

Sag mir, dass du dich im Föhnwind sehnst
Und dass du trauern würdest,
Wenn ich ginge.
Sag mir, dass diese Tage schön sind
Und dass du weinen wirst,
Wenn ich nicht singe.

Sag mir, dass du dem Leben gut bist.
Sag meiner Stimme,
Dass sie nie verwehe...
Und dass du heiter und voll frohen Mut bist,
Auch wenn ich lange Zeit
Dich nicht mehr sehe.

Sag mir, dass ich ein töricht Kind bin,
Und streichle mich, wie eine junge Meise.
Sag mir, dass ich zu dir zurückfind,
Auch wenn die Nächte dunkel sind,
Durch die ich reise.

(Hugo Ball, 1886-1927)

Abschied

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt.
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt;
Schlag noch einmal die Bogen,
Um mich, du grünes Zelt.

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Dass dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

(Joseph von Eichendorff, 1788-1857)

Abschiednehmen, das bedeutet im Wesentlichen die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit allen Seins. Zunächst fasst dies Matthias ClaudiusClaudius präzise-empathisch in unvergleichliche Verse, Du Fu aus China hingegen kleidet es in faszinierende Bilder. Zur derben Wucht, mit der die Barocklyriker Andreas GryphiusGryphius und Hoffmannswaldau die Flüchtigkeit und Unerquicklichkeit allen Lebens in die strenge Sonettform pressen, kontrastieren Hofmannsthals melancholische Terzinen ebenso stark wie die hedonistische Gelassenheit, die aus dem letzten Willen eines mittelalterlichen Vaganten spricht.

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret;
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenn's hoch kömmt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

(Matthias Claudius, 1740-1815)

Leuchtkäfer

Am Hexenberg in der herbstlichen Nacht
Leuchtkäfer schwirren.
Durch des Fensters Vorhang sie kommen herein,
durchs Fenster sie irren!
Die Zither gibt einen heimlichen Klang,
und sie erschrecken.
Wie Sterne schwärmen sie wieder hinaus
um Dächer und Ecken.

Sie fliegen am Brunnengeländer umher,
einzeln, am feuchten.
In Blütenkelche verirren sie sich
und machen sie leuchten.
Weißhaariger Alter aus fernem Land
schaut von einem zum andern:
Wird er zu Hause sein heut übers Jahr
oder immer noch wandern?

(Du Fu , 712-770;
aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)

Die Welt

Was ist die Welt, und ihr berühmtes gläntzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Grentzen,
Ein schneller Blitz, bey schwarzgewölckter Nacht;
Ein bundtes Feld, da Kummerdisteln grünen;
Ein schön Spital, so voller Kranckheit steckt.
Ein Sclavenhauß, da alle Menschen dienen,
Ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauff wir Menschen bauen,
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm Seele, komm, und lerne weiter schauen,
Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen,
Halt ihre Lust für eine schwere Last.
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.

(Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, 1616-1679)

Über Vergänglichkeit

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
Dass alles gleitet und vorüberrinnt

Und dass mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.

Dann: dass ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

(Hugo von Hofmannsthal, 1874-1929)

Letzter Wille

Mein Begehr und Willen ist:
In der Kneipe sterben!
Nah den Lippen sei der Wein,
Eh sie sich entfärben.
Und der Englein Sterbechor
Möge für mich werben:
"Lass den wackern Zechkumpan,
Herr, dein Reich ererben!"

Jeder Zecher gehet ein
Zu des Himmel Toren,
So der Jüngling wie der Greis;
Doch im Feuer schmoren
Muss das schlechte Bauernpack;
Die sind nicht geboren
Zu verkosten solchen Trunk
Fein und auserkoren.

Leib und Leben lasst dem Wein
Uns, dem guten, weihen,
Sintemal er innerlich
Schafft ein gut Gedeihen!
Bringt man uns nur Wein genug,
Wann wir darum schreien,
Wöll'n in deinem Himmel wir,
Herr, dich benedeien.

Vinus, Vina, Vinum heißt
Weiner, Weine, Weines.
Masculin und Feminin
Braucht man für Gemeines,
Doch im sächlichen Geschlecht
Liegt was götterfeines,
Das den Trinker kundig macht
Trefflichsten Lateines.

Für die Kirche nicht so sehr
Ist mein Herz erglommen,
Doch die Kneipe war mir stets,
Ist mir stets willkommen,
Bis dereinst die Engel nahn,
Bis mein Ohr vernommen
Ihren Lustgenbruder-Gruß:
"Ewge Ruh den Frommen!"

(Vagantendichtung, 12. Jahrhundert;
aus dem Lateinischen von Ludwig Laistner)

Von solcherart Abschieden sei mit Schubarts Greisenlied übergeleitet zum Motiv des Alters. Diesem gewinnt Saar zunächst sogar viel Positives ab; der Chinese Li Bo begegnet seinem Alterspiegel allerdings mit Schwarzer HumorSchwarzem Humor, Scheffel mit einem unverwüstlich-trotzigen Vierzeiler, während Wihelm BuschBusch zu guter Letzt seine unverwechselbare Brise Sarkasmus beimengt.

Frühlingslied eines Greisen

Hier in diesem Paradiese
Find ich bald - ach bald mein Grab;
Alt bin ich, und meine Füße
Stützt schon dieser Dornenstab.

Aus der schönen Welt zu scheiden,
Guter Gott, das fällt mir schwer.
Zwar erlebt' ich manches Leiden,
Aber doch der Freuden mehr.

Atme deine Balsamdüfte
Mir zum letztenmal, Natur.
Spielt, ihr warmen Frühlingsdüfte,
Mit den Silberlocken nur!

Bald werd' ich die grünen Haine
Und die Hecken nimmer sehn!
Gott vergib mir's, wenn ich weine;
Denn die Welt ist gar zu schön.

Nachtigallen im Gesträuche,
Lerchen in der blauen Luft,
Singt nur, singt mir halben Leiche
Totenlieder in die Gruft.

Doch ich schlafe - Deine Güte
Ist's, du guter Frühling, du!
Decke mich mit Äpfelblüte
In dem sanften Schlummer zu.

(Christian Friedrich Daniel Schubart, 1739-1791)

Alter

Das aber ist des Alters Schöne,
Dass es die Saiten reiner stimmt,
Dass es der Lust die grellen Töne,
Dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.

Ermessen lässt sich und verstehen
Die eig'ne mit der fremden Schuld,
Und wie auch rings die Dinge gehen,
Du lernst dich fassen in Geduld.

Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
Es schwindet des verfehlten Pein -
Und also wird der Rest des Lebens
Ein sanftes Rückerinnern sein.

(Ferdinand von Saar, 1833-1906)

Blick in den Spiegel

Mein Spiegel ist von Herbstnebeln blind.
Ich kann nicht mehr in den Mai zurück.
Ich flechte aus meinen weißen Haaren mir einen langen Strick.
Ich schlinge ihn um das Horn des Mondes am Himmel fest,
Dass er nicht reißt, wenn mich der Frühwind tanzen lässt.
Meine Zunge wird mir aus den Zähnen jappen.
Reißt sie heraus, gönnt einem Hunde den Happen.
(Er wird fortan nur noch nach schönen Versen schnappen.)

(Li Bo, 701-762; aus dem Chinesischen von Klabund)

Die Falten um die Stirne dein,
lass sie nur heiter ranken;
das sind die Narben, die darein
geschlagen die Gedanken.

(Joseph Viktor von Scheffel, 1826-1886)

Also hat es dir gefallen
Hier in dieser schönen Welt;
So dass das Vondannenwallen
Dir nicht sonderlich gefällt.

Lass dich das doch nicht verdrießen.
Wenn du wirklich willst und meinst,
Wirst du wieder aufersprießen;
Nur nicht ganz genau wie einst.

Aber, Alter, das bedenke,
Dass es hier doch manches gibt,
Zum Exempel Gicht und Ränke,
Was im ganzen unbeliebt.

(Wilhelm Busch,1832-1908)

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